Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
Börse zu. »Damit könnt Ihr euch ein ganzes Regiment Hühner und einen schönen, großen Hahn kaufen.«
Die Bäuerin strahlte vor Freude.
»Außerdem reicht das Geld auch noch für Holz und Mehl, Wein, Öl und Speck für zwei oder drei Jahre oder wahrscheinlich noch länger.«
»Glaubt Ihr, es reicht, dass ich mir auch eine oder zwei Ziegen kaufen kann, guter Herr? Davon träum’ ich schon immer. Dass ich Milch hab’ und Käse machen kann.«
Jetzt war Charles de Bourbon an der Reihe, und er gab ihr seine Börse.
»Damit könnt Ihr zwei oder drei Ziegen kaufen.«
»Oh!«, sagte die Gute und strahlte über das ganze Gesicht, »da können wir ja Käse auf dem Markt verkaufen und verdienen noch was!«
»Ganz recht, gute Frau!«
Dann machten sich Charles und Alessandro mit großem Appetit über die heiße Suppe her, in der ein paar Bohnen und ein Stück Speck schwammen.
»Geh mal den Schinkenrest holen, den wir noch aufheben wollten, Ferdinand. Und wenn du schon dabei bist, kannst du auch gleich die anderen Decken mitbringen. Die könnt Ihr heut’ Nacht haben.«
15.
Wege und Straßen waren noch immer vereist, aber der Nebel hatte sich gelichtet, als Alessandro Van de Veere und Charles de Bourbon vor den Mauern von Amboise eintrafen.
Munter stürmten sie die Auffahrt zum Schloss hinauf, wo man sie mit begeisterten Rufen begrüßte. Zwei Lakaien hatten die Neuigkeit bereits ausposaunt, und Catherine und René kamen, gefolgt von Louise und Alix, angelaufen.
Endlich durfte Charles Louise in die Arme nehmen, und Alessandro, der allen Ärger vergessen hatte, küsste Alix leidenschaftlich, ohne sich um die neugierigen Blicke der Umstehenden zu scheren.
»Ich hatte solche Angst, du wärst vielleicht nicht mehr hier, mein Herz!«, sagte er leise. »Hast du mir vergeben?«
»Ja, denken wir nicht mehr daran«, flüsterte sie. »Ich liebe dich.«
Freude war auf Schloss Amboise eingekehrt. Nur Marguerite versank immer wieder in traurige Schweigsamkeit, was für sie sehr ungewöhnlich war. Da Alix miterlebt hatte, wie verliebt das junge Mädchen in den verführerischen Nemours gewesen war, konnte sie als Einzige verstehen, wie schmerzhaft die Liebesbezeugungen ihrer Mutter und ihrer Freundin für sie sein mussten.
Die eisige Kälte hielt an, aber der Nebel hatte sich endlich aufgelöst, nachdem er beinahe eine ganze Woche die Menschen gezwungen hatte, zu Hause zu bleiben. Kein Reiter wagte sich auf die Straße. Obwohl der Himmel jeden Morgen in den schönsten Blautönen erstrahlte, blieb der Boden hart gefroren.
Irgendwann ließ die Kälte doch nach, und das Eis verschwand von den Straßen.
Nach und nach kam die schwarze Erde auf den Terrassen von Amboise zum Vorschein und lockte ein paar Krähen an, die hungrig herumhüpften und schrien. An den grauen Schlosstürmchen bildeten sich zahllose Eiszapfen, die in der Sonne bunt glitzerten.
Wegen der winterlichen Temperaturen wurden alle bewohnten Zimmer auf dem Schloss ständig geheizt. Louise duldete nicht, dass ihre Gäste frieren mussten. Tag und Nacht prasselte Feuer in den großen Kaminen.
Natürlich hatten die Schlossherren immer ausreichend Brennholz und machten sich meist keine Gedanken um die armen Leute, die unter dieser oft endlosen Kälte zu leiden hatten.
Heute war ein ganz besonderer Abend, und ein großes Feuer brannte in dem gewaltigen Kamin, um den sich Charles de Bourbon, Alessandro Van de Veere, Louise, Alix, Marguerite und ihre Zofen versammelt hatten.
Damit sie nicht so viel Kälte abstrahlten, waren die Wände mit großen Teppichen bedeckt. Der Wandteppich, vor dem Alix saß, gefiel ihr sehr, und sie betrachtete ihn eingehend. Ein prächtig gekleidetes Paar stand in einem Garten und bewunderte den Teppich aus Millefleurs, der zu seinen Füßen wuchs. Alix wusste, dass dieser Teppich von Louise eine Kopie war, die sich in einigen Details von dem Original unterschied, das in Blois hing und dem König gehörte. Er hatte den Titel Paar im Garten .
Obwohl es angenehm warm war und man der Tischgesellschaft ihre große Erleichterung ansah, wollte die Stimmung nicht recht in Schwung kommen. Alessandro und Alix hatten es augenscheinlich eilig, endlich allein zu sein, und für Louise und Charles galt wohl das Gleiche. Die Paare lächelten sich an, unterhielten sich mit gedämpfter Stimme, berührten sich heimlich zärtlich und
beteiligten sich nur wenig an der Unterhaltung, die hauptsächlich von Antoinette und Marguerite bestritten wurde.
Sogar
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