Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
Küsten Kleinasiens gefahren waren, um Luxusgüter nach Italien zu bringen. »Jean de Villiers ist ein Mensch mit vielen Facetten. Während Alexander Borgia seine Kultiviertheit genoss, passt er mit seinem Ungestüm und seinem Kampfgeist wunderbar zu diesem verrückten Julius II., der nur Krieg im Sinn zu haben scheint.«
»Ist das wahr?«, fragte Alix Alessandro überrascht.
»Mehr als wahr, Liebling. Mit seinen über sechzig Jahren greift
dein Onkel wieder zum Säbel, um an der Seite von Julius II. zu kämpfen.«
»Ich glaube dir kein Wort, Alessandro.«
»Dann glaubst du es spätestens, wenn du nach Rom kommst«, meinte Alessandro, beugte sich über sie und hauchte einen Kuss auf ihren Hals.
Von allen Gästen zeigte der junge Raffael am meisten Appetit, und Alessandros Tafel war so reichhaltig und vielfältig gedeckt, dass jeder auf seine Kosten kam. Im Gegensatz zu den Römern, die gern große Mengen aßen und tranken, bevorzugten die Florentiner kleine Portionen, dafür aber nur vom Feinsten. Deshalb gab es eine erstaunliche Auswahl an köstlichen Speisen und erlesenen Weinen.
Nach den gefüllten Vögelchen wurde gekochter Pfau auf Gelatine serviert. Die Gelatine war mit Safran gefärbt und mit Mandelmilch und anderen Ingredienzien zubereitet. Die Florentiner liebten dieses Gericht und hüteten das Rezept wie ein Geheimnis.
»Seid Ihr kürzlich in Brügge gewesen, Alessandro?«, fragte da Vinci und zwirbelte seinen Schnurrbart. »Wie geht es Eurem Freund Dürer? Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, war er in Eurer Gesellschaft, aber das ist schon sehr lange her.«
Alessandro gefiel diese Frage überhaupt nicht, und er sah Alix an, die nun an seiner Stelle antwortete:
»Die beiden haben sich wegen mir gestritten«, erklärte sie mit einem Lachen, »seither sehen sie sich kaum noch.«
»Mit einem Modell wäre einem das nicht passiert!«, mischte sich da plötzlich Raffaels schöne Begleiterin ein, und der schien nicht recht zu wissen, wie er diesen Einwurf verstehen sollte.
»Für jeden gibt es eine andere Aufgabe«, sagte Alix freundlich zu ihr. »Als Künstler betrachtet man die Schönheit, um sie auf einen Untergrund zu bannen, auf Pergament, Leinwand oder auf einen
Teppich. Als Modell dient man dem Künstler als Muse, und je schöner das Modell ist, wie in Ihrem Fall, Madame, umso mehr Künstler wollen es haben. Ob Dürer, da Vinci, Michelangelo oder Raffael, für einen berühmten Künstler zu arbeiten ist eine Ehre für das Modell – und ich glaube, ich beneide Euch darum, Madame.«
Die Frau wirkte verdutzt und sagte nichts. Die übrigen Gäste waren sich einig, dass Alix sehr klug reagiert hatte. Anstatt ihr mit gleicher Münze herauszugeben, hatte sie souverän und geistreich geantwortet.
»Darf ich Euch etwas fragen, Meister Raffael?«, wandte sie sich nun an den Maler.
»Aber natürlich.«
»Malt Ihr nach wie vor Kartons für Weber?«
»Möchtet Ihr einen Entwurf von mir haben?«
»Was würde das denn kosten?«
»Angesichts der Tatsache, dass wir beide mit Alessandro befreundet sind, würde ich Euch einen vernünftigen Preis machen.«
»Das wäre sehr schön!«, meinte Alix und strahlte den Maler dankbar an. »Ich würde mich sehr freuen. Können wir vielleicht in den nächsten Tagen darüber reden? Oder habt Ihr keine Zeit mehr, ehe Ihr Florenz verlasst?«
»Ich kann mir morgen freinehmen und dich zu ihm begleiten, mein Herz«, sagte Alessandro.
Alix wurde von einem Kammerherrn, zwei Dienern und drei Zimmermädchen bedient und führte ein unbeschwertes Dasein, auch wenn ihr gelegentlich Gerüchte über die Italienkriege zu Ohren kamen.
Tagsüber war Alessandro meist unterwegs, aber nicht allzu lange, und jeden Abend kam er wieder nach Hause, sodass Alix in Liebe und Glück schwelgte.
So vergingen zwei Monate voller Harmonie und Sorglosigkeit. Man hätte glauben können, nichts könne diese Heiterkeit trüben. Alix’ Bauch wurde zusehends runder, und Alessandro schien der glücklichste Mann auf der ganzen Welt. Offen gestanden konnte er auch wirklich zufrieden sein mit seiner Liebsten, die nichts anderes von ihm verlangte, als die Nächte in seinen starken Armen zu verbringen.
Selten sprach sie mit ihm über ihre Rückkehr nach Frankreich, fast so, als würde sie für immer in Florenz bleiben. Aber er wusste, dass sie nach der Geburt des Kindes ins Val de Loire zurück wollte und dass sie sich nach ihren Werkstätten sehnte, auch wenn sie ihm das nicht zeigte.
Als sie
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