Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
Herren sind die großen Maler, von denen ich dir erzählt habe, mein Herz. Mein Freund Leonardo ist außerdem Baumeister, und Michelangelo betätigt sich nebenbei als Bildhauer. Einzig unser junger Freund Raffael rührt nichts anderes als den Pinsel an – aber das macht ihm keiner nach.«
»Eure Maria Verkündigung , die hier im Haus hängt, gefällt mir sehr, Maître Raffael.«
»Vielen Dank für das Kompliment«, antwortete der Maler, der höchstens fünfundzwanzig war.
Aber da ergriff auch schon wieder der Herr des Hauses das Wort und sagte zu Alix:
»Dieser Gast ist Cesare Rossetti, mein Goldschmied, der auch für den Palazzo Medici arbeitet, und dieser hier, Benedetto da Rovezzano, ein Freund von Michelangelo, ist ebenfalls Bildhauer.«
Alessandro fühlte sich sichtlich wohl, umrundete den Tisch und legte demjenigen, den er gerade vorstellte, freundschaftlich die Hände auf die Schultern. Alix genoss die Gesellschaft dieser illustren Runde Florentiner Künstler und nahm sich vor, sich guter Laune, unterhaltsam und klug zu zeigen und dabei den nützlichen Nebeneffekt für ihre Arbeit und ihr Geschäft nicht außer Acht zu lassen.
Die Tafel war vor den geöffneten Terrassentüren gedeckt, und aus dem Garten wehte ein laues Lüftchen herein. Tania bediente zum ersten Mal bei Tisch und reichte den Wasserkrug herum, während sich die Gäste über Melone mit Berlingozzo hermachten, einem Kuchen aus Mehl, Eiern und Anis.
Alessandros Wasserkannen waren aus Silber, und die Servietten aus feinem, seidenweichen weißen Batist, die Tania zum Abtrocknen der Hände reichte, gewiss nicht weniger kostbar als die am französischen Hof. Die Gäste tupften sich manierlich die Finger damit ab, nachdem sie sie in das parfümierte Wasser getaucht hatten. Niemand wischte sich die Hände am Tischtuch ab, wie es in Frankreich üblich war. Es gab auch kein Hackbrett und keine großen Weinkrüge. In Florenz hatte man andere Vorstellungen von einem festlich gedeckten Tisch: Jeder Gast bekam seinen eigenen Teller und einen eigenen Trinkbecher.
Tania machte ihre Sache sehr gut. Anmutig lächelnd bediente sie die Gäste. Alix musste plötzlich an René denken, den Pagen der Comtesse d’Angoulême, dem Louise beigebracht hatte, wie man diese anspruchsvolle Arbeit zu erledigen hatte.
Ein Gericht nach dem anderen wurde nach Florentiner Art aufgetragen, serviert von zwei Dienern in Livrees in den Farben des Gonfaloniere von San Giovanni. Eben trugen sie gefüllte Drosseln und Täubchen auf einem Salatbett auf. Alix konnte vor lauter Aufregung ob der illustren Gesellschaft kaum etwas essen, was sie sich aber nicht anmerken lassen wollte.
Der junge Raffael schenkte ihr am meisten Aufmerksamkeit, während Maestro Michelangelo und der berühmte Leonardo da Vinci, der mit seinen etwa fünfzig Jahren der Älteste der drei war, ihr nur hin und wieder einen Blick zuwarfen. Alix beobachtete sie sehr genau und wartete ab, dass man sie ansprach.
Die Maler waren schlicht gekleidet, alle drei trugen weite dunkle Umhänge. Raffael und Michelangelo hatten große, eckige Baretts auf ihrem schulterlangen Haar, während da Vinci seinen kahlen Schädel ganz unter einer runden, eng anliegenden Mütze versteckte.
Raffael war als einziger Gast in Begleitung einer noch dazu sehr hübschen Frau erschienen, seinem Lieblingsmodell, wie er sagte. Allerdings stellte er sie nicht mit Namen vor. Sie sagte nichts, aß kaum etwas und lächelte nur die ganze Zeit mal nach links und mal nach rechts.
Sie war wie eine Florentinerin gekleidet, während Alix ein karmesinrotes französisches Kleid mit einem großen, eckigen, goldgesäumten Dekolleté gewählt hatte. Unter dem Kleid mit dem engen Mieder trug sie einen dunkelblauen gefältelten Unterrock.
Zu diesem besonderen Anlass hatte sie sich gegen eine Florentiner und für eine französische Frisur entschieden. So umrahmten zwei dicke rotblonde Strähnen ihr Gesicht, und ein zum Kleid passendes Tuch hielt das Haar hinten zusammen.
»Es kommt leider nur selten vor, dass Ihr drei an meinem Tisch versammelt seid«, meinte Alessandro gut gelaunt.
»An Eurem Tisch, ja! Sonst passiert uns das in Florenz recht häufig. Ihr habt doch nicht etwa vergessen, dass wir alle drei Florentiner sind?«, protestierte Leonardo da Vinci.
»Das nicht, aber Ihr beehrt Florenz doch nur gelegentlich. Ihr haltet Euch viel zu selten hier auf! Wollt Ihr nicht gerade jetzt wieder nach Mailand reisen?«
»Ich hoffe, die Kriegswirren
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