Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
euer gutes Recht –, bringe ich euch zurück nach Genua und verkaufe euch wieder. Dann müsst ihr euer Glück mit einem neuen Herrn versuchen.«
Tania stürzte zu ihrem Bruder, und die beiden klammerten sich förmlich aneinander.
»Bitte nicht, Theo! Ich will nie wieder auf dieses furchtbare Podest, wo uns der Sklavenhändler mit seiner Peitsche verfolgt hat. Nie wieder! Ich will bei Dame Alix bleiben. Sie hat mir versprochen, dass ich bei ihr schöne Aufgaben bekomme. Ich soll singen und mich um die Blumen in ihrem Garten kümmern. Ich soll einfach zu ihrem Vergnügen Musik machen, ihre Gäste unterhalten und den Wasserkrug herumreichen, wenn sie in ihrem großen Haus in Tours Gäste bewirtet. Verstehst du denn nicht, dass
mir das sehr viel Freude machen würde, Theo? Dass es genau das Richtige für mich wäre, und dass ich gar nichts anderes kann? Bitte, hör mir zu!«
»Aber …«, wollte er einwenden.
»Nein, hör mir bitte zu«, unterbrach ihn seine Schwester ungeduldig. »Willst du vielleicht, dass ich zu einem Herrn komme, der mich erst missbraucht und dann zu seinen anderen Dienerinnen schickt und herumschreit, dass ich doch nur eine Sklavin bin? Bei Dame Alix kann mir das alles nicht passieren.«
Theo hatte seiner Schwester zärtlich übers Haar gestrichen, während sie sprach. Nun kam Alix auf die beiden zu.
»Sie hat recht«, wandte sie sich an den jungen Mann, »weil sie klüger ist als du, mein Junge. Auch wenn du der Sohn eines Sultans sein solltest, hast du weder Geld noch Familie noch einen Beruf. Was nützt es dir also, wenn du wegläufst? Willst du mit deiner Schwester hier in Florenz in der Gosse leben, so wie in Konstantinopel? Man würde dich schnell aufgreifen und nach Genua zurückbringen. Vergiss nicht – ich würde das Geld zurückverlangen, das ich für dich bezahlt habe.«
»Ich will nicht wieder dahin! Ich will nicht zurück!«, rief Tania und warf sich Alix an die Brust. »Ich will bei Euch bleiben. Bitte geh nicht weg, Theo!«
»Also, pass auf, was ich dir vorschlage, mein Lieber«, sagte Alix zu ihm. »Bei mir bist du kein Diener, aber du hast auch keinem etwas anzuschaffen. Leo ist mein persönlicher Kutscher, und das bleibt er auch. Er ist verantwortlich für meine Pferde und in Tours auch für meinen Stall. Daran ändert sich nichts, nur weil du jetzt plötzlich da bist.«
Theo wirkte nicht mehr ganz so eingebildet, aber bockig.
»Ich will ein Pferd für dich allein kaufen. Ein schnelles Pferd, mit dem man über Land galoppiert.«
»Ich weiß schon, dass man mit einem schnellen Pferd galoppiert.«
»Sei ruhig, du weißt nämlich nicht viel, außer wie man andere Leute herumkommandiert. Wenn du so bockig bleibst, bringe ich dich zurück nach Genua und behalte nur deine Schwester. Hast du nicht gehört, dass sie unbedingt bei mir bleiben will? Bist du wirklich so verbohrt?«
Ohne seine Antwort abzuwarten fuhr sie fort:
»Du sollst das Pferd reiten, das ich für dich kaufen will. Ein Pferd, das stundenlang galoppieren kann, durch Stadt und Land, und dann auf einem Schloss Halt macht. Sein Reiter hat dem Schlossherrn eine Botschft zu überbringen. Nachdem sich Ross und Reiter über Nacht ausgeruht haben, brechen sie am nächsten Tag im Morgengrauen wieder auf.«
Sie trat etwas zurück und beobachtete seine Reaktion.
»Du kannst mein Bote werden, weil Leo dafür keine Zeit übrig hat.«
Nun war es an ihr, ihn abschätzig zu mustern.
»Bist du mit diesem Vorschlag einverstanden?«
Theo zuckte die Schultern, als würde ihn Alix zu einem Frondienst verdammen.
»Du magst Pferde, aber du verstehst dich nicht mit Leo. Meinetwegen, aber Leo bleibt mein Kutscher. Als mein Bote lauft ihr euch nur im Stall über den Weg, wenn ihr euch um die Pferde kümmern müsst. Bist du mit meinem Vorschlag einverstanden?«
Der junge Mann nickte.
»Ich nehme an, das soll ja heißen«, sagte sie und musterte ihn kühl.
22.
Der große Tisch war für acht Gäste gedeckt. Die Florentiner unterhielten sich gerne beim Essen und luden deshalb nicht allzu viele Leute auf einmal ein. Vertrauliche Gespräche, die die Geselligkeit störten und andere Gäste ausschlossen, waren nicht erwünscht. Man pflegte während des Essens ein harmonisches Beisammensein.
Ohne Umschweife machte Alessandro die Gäste miteinander bekannt.
»Darf ich vorstellen: Das ist Alix, eine Teppichweberin aus dem Val de Loire. Ich bin der Vater des Kindes, das sie erwartet.«
An Alix gewandt fuhr er fort:
»Diese
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