Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
Alessandro war entschieden, aber nicht anmaßend, weil er ein ausgeprägtes Gespür für die
Gefühle seines Gegenübers besaß, weshalb es auch kaum jemand gab, der sich seinem Charme entziehen konnte. Alessandro beherrschte die schroffe und zugleich sanfte Kunst der Verführung, mit der er Aufmerksamkeit forderte. Hatte er nicht auch zu dem wütenden Mathias in diesem energischen Ton gesprochen?
»Es tut mir außerordentlich leid, Alix, aber du musst diesen Spaziergang verschieben. Ich habe etwas mit dir zu besprechen.«
Allmählich machte ihr der sorgenvolle Klang seiner Stimme Angst.
»Komm mit!«, forderte er sie auf, und sie gingen in ihr großes Schlafzimmer. Alix fühlte sich auf einmal sehr schwach. Sollte ihr Glück hier etwa enden?
»Was hast du mir zu sagen?«, fragte sie ihn und setzte sich auf die Bettkante.
Liebevoll nahm er sie in die Arme und legte sie auf die weiche geblümte Decke. Dann begann er sie langsam auszuziehen.
»Was tust du da, Alessandro?«, hauchte sie kaum hörbar, weil ihr die Angst die Stimme verschlug. »Ich wollte doch mit Angela und Tania ausgehen. Bist du heute Abend nicht zu Hause?«
»Nein, ich werde nicht da sein.«
»Aber warum? Wo wirst du sein?«
Er hatte ihr Mieder geöffnet, und ihr seidenweicher weißer Busen kam zum Vorschein.
»Wohin willst du denn, Liebster?«
»Ich muss nach Venedig.«
Mit einem Ruck richtete sie sich auf und entzog ihren Busen den zärtlichen Händen ihres Geliebten.
»Dann komme ich mit!«
»Auf keinen Fall. Wahrscheinlich werde ich einige Monate dort bleiben müssen.«
»Ein Grund mehr, dass ich dich begleite.«
Sie war aufgesprungen, ihr Kleid fiel zu Boden, und sie stand vollkommen nackt vor Alessandro.
»Ich komme zwischendurch zurück.«
»Was heißt zwischendurch?«
»Ich weiß es nicht«, seufzte Alessandro traurig, »ich kann dir nichts versprechen. Vielleicht bin ich nicht einmal da, wenn du das Kind bekommst.«
»Nein, Alessandro, bitte nicht!«, stöhnte Alix, und die Tränen stiegen ihr in die Augen. »Bitte tu mir das nicht an, mein Geliebter. Alles, nur nicht das! Ich musste schon zweimal allein entbinden, ein drittes Mal halte ich das nicht aus.«
Er nahm sie in die Arme und legte sie wieder aufs Bett, wobei er darauf achtete, dass sie es bequem hatte. Dann streckte er sich auf ihr aus.
»Es geht nicht anders. Die Lage in Venedig spitzt sich zu. Rom und der Papst fordern für die Unterstützung der französischen Truppen Hilfe, die angriffsbereit kurz vor der Stadt kampieren. Bislang hat Florenz diese Auseinandersetzung nur von weitem beobachtet. Aber der Pontifex hat recht. Wir dürfen nicht länger zusehen, wie die Venezianer ganz Italien dominieren und dem Land schaden. Und was noch schlimmer ist, nach und nach übernehmen sie den gesamten Handel mit den ausländischen Mächten. Das können wir nicht länger dulden.«
»Aber warum musst du deshalb nach Venedig? Du bist doch kein Soldat!«
Er spürte, wie sie sich unter ihm regte, und hätte beinahe nur noch ihre Küsse und Seufzer beantwortet.
»Der Pontifex braucht Geld, sehr viel Geld. Also braucht er auch Bankiers. Wie du weißt, kostet die Armee einen König viel Geld. Julius II. hat kein Geld, will aber trotzdem mit von der Partie sein.«
Alessandro lachte bitter.
»Julius II. ist kein Mann der Kirche, sondern ein Mann des Kriegs. Und er manövriert sehr geschickt. Im Kampf muss ich ihn nicht unterstützen, aber er braucht mein Geld.«
»Aber du bist doch nicht der einzige Bankier, der ihm helfen kann, Alessandro. Was ist denn mit den anderen Florentiner Gonfaloniere?«
Er küsste sie und genoss einen Moment lang den Duft ihrer Lippen, ehe er sich wieder von ihr losriss und fortfuhr:
»Ich bin in diese Geschichte verwickelt und habe deshalb einige Reisen in den Orient unternommen. Stell mir keine weiteren Fragen, mein Herz. Ich darf dir ohnehin nicht alles sagen.«
»Oh doch! Ich will nämlich verstehen, was los ist, vor allem, weil du diese Reisen mit Jean gemacht hast. Wird er auch nach Venedig kommen?«
»Ja, er kommt. Julius II. zählt auf seine Unterstützung.«
Alix wollte sich losmachen und aufrichten, aber er hielt sie so fest, dass sie nur hilflos stöhnen konnte.
»Dann hatte die Comtesse d’Angoulême also recht. Dein schönes, bezauberndes Florenz, das du mir gezeigt hast, ist kein Spiegelbild der Wirklichkeit.«
»Die Gerüchte kursierten tatsächlich schon länger, aber nur an den europäischen Königshöfen. Das Volk erfuhr
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