Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
Kardinal Georges d’Amboise?«, fragte Alix und erwiderte seinen Blick länger als den von Rossetti.
»Es gibt nur einen Georges d’Amboise, aber wie jeder weiß, ist mein Onkel mehr Kämpfer als Kirchenmann. In dieser Hinsicht ist er übrigens dem Papst sehr ähnlich.«
»Wie kann er sein Freund sein, wo er doch so sehr darum gebuhlt hat, Nachfolger von Papst Alexander Borgia zu werden?«
»Ich habe auch nicht gesagt, dass er sein Freund ist, schöne Dame. Außerdem würde mich interessieren, woher Ihr wisst, dass er Papst werden wollte?«
»Von meinem Onkel.«
»Ja, und er ist auch mein Onkel, weil Alix und ich Cousinen sind«, mischte sich Constance ein.
»Wer ist dieser Onkel, der solche geheimen Informationen besitzt?«
»Kardinal Jean de Villiers.«
»Oh! Das ist allerdings nicht irgendwer«, meinte Charles d’Amboise überrascht von diesem Namen, weil er früher viel über den Kardinal gehört hatte. »Stimmt es eigentlich, dass er türkischer Abstammung ist?«
»Sein Vater war Sultan Mohammed II., und seine Mutter Blanche de Villiers stammte aus Tours und war die zweite Frau meines Großvaters, einem Webermeister in Brügge. Voilà, Charles, nun wisst Ihr alles«, sagte Constance mit einem Lächeln.
Es war nicht zu übersehen, dass Gonfaloniere Soderini am höchsten in Constances Gunst stand. Mehr als einmal ertappte Alix sie Hand in Hand und verliebte Blicke austauschend. Aber sie wunderte sich längst nicht mehr über das gewagte Auftreten ihrer Cousine. Schön und klug, wie sie war, konnte sie sich in einer Stadt wie Florenz und besonders in einer Zeit, die das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung propagierte, beinahe alles erlauben. Denn die Renaissance war auf dem besten Wege, sich künstlerisch und kulturell in ganz Italien durchzusetzen.
»Wenn Euer Onkel im Krieg ist, habt Ihr dann vielleicht neue Nachrichten aus Venedig?«, fragte Alix und sah Charles d’Amboise unverwandt an.
»Aber selbstverständlich!«, rief der Dichter Bembo, der ständig auf der Suche nach interessanten Neuigkeiten unterwegs war, die er dann zu Gelegenheitsdichtung verarbeitete.
»Sind es schlechte Nachrichten?«
»Mehr als das – man könnte sie beinahe tragisch nennen.«
»Tragisch!«
»Ja, leider, die Stadt wird mit Feuer und Schwert verheert. Die Venezianer sind wehrhaft und wollen nicht kapitulieren.«
»Sind viele Florentiner vor Venedig?«
»Genauso viele wie Franzosen, und Euer Onkel, werte Damen, kämpft an der Seite meines Onkels. Es ist wohl besser, wenn wir nicht so genau wissen, was sich dort abspielt«, meinte d’Amboise.
»Georges d’Amboise führt die gesamte französische Delegation an, und die Armee des österreichischen Kaisers unterstützt die Franzosen«, erklärte Bembo. »Aber anscheinend leistet der Doge Leonardo Loredan nach wie vor Widerstand.«
Als sich Alix zu ihrer Cousine umdrehte, sah sie, wie Gonfaloniere Soderini einen Arm um ihre Taille legte und sie an sich zog. Constance ließ es sich lachend gefallen, und niemand schien sich daran zu stören. Alix seufzte, weil sie an diesem Abend gern schlanker gewesen wäre, und wandte sich an den Maler, der sie beobachte hatte. Er schien hier der Einzige zu sein, der sie verstand.
»Wisst Ihr, warum Alessandro nicht zurückkommt, Meister Raffael?«
Raffael musterte sie eindringlich. Er hatte schöne schräge Mandelaugen mit langen schwarzen Wimpern. Er war wirklich der Verführer in persona. Alix war wie erstarrt, und er erkannte die Verzweiflung in ihrem Blick.
»Die Bankiers, die nach Venedig mitgekommen sind, befinden sich in Sicherheit«, versuchte er sie zu beruhigen. »Sie treiben sich nicht auf dem Schlachtfeld herum. Macht Euch deshalb keine Sorgen. Denkt nicht daran, besucht mich lieber morgen in meinem Atelier. Ich werde den ganzen Tag da sein. Wir könnten ein wenig über die Kunst der Teppichweberei plaudern.«
Raffael ließ sie nicht aus den Augen. Sein Gesicht war so ebenmäßig und makellos wie das eines Modells.
»Leider geht das nur noch morgen, weil ich dann nach Rom muss, um die Arbeit an dem Porträt von Federico Gonzaga zu beginnen.«
»Hält Papst Julius II. diesen Mann nicht als Geisel gefangen?«
»Den Gerüchten zufolge ja. Aber ich weiß, dass er sich innerhalb der Vatikansmauern frei bewegen kann.«
Alix warf Constance einen Blick zu und sah die Bitterkeit in ihren Augen. Wie hätte sie da auch nicht an Herzog Sforza denken sollen, der ohne diese Bevorzugung im Kerker von Château Loches
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