Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
ganzen Charme ihrer sechzehn Jahre aus und war fest entschlossen, den Tag zu genießen und nicht melancholisch an die Folgen zu denken, die eine solche Heirat früher oder später hatte.
In einem langen weißen perlenbestickten Kleid aus flämischem Samt mit silbernem Blumenmuster und dazu passendem Reifrock lächelte sie still und freundlich, obwohl sie innerlich in Aufruhr war, und versuchte sich einzureden, ein französischer Bräutigam, den sie nicht liebte, sei immer noch besser als ein Bräutigam aus einem fremden Land, für den ihr Herz höher schlagen würde.
Anne de Bretagne erschien mit ihren Pagen im Schlepptau, die blaugoldene Brokatgewänder mit dem Wappenbild ihres Herzogtumes trugen – sechs große versilberte Schlüssel, mit denen sich die Tore ihrer geliebten Stadt Nantes öffnen ließen.
Bereits am Abend zuvor hatte man der zukünftigen Duchesse d’Alençon die Hochzeitsgeschenke präsentiert, die sich gegenseitig an Kostbarkeit und Pracht übertrafen.
Vier schöne graue Zelterpferde mit Straußenfederbuschen waren ihr aus England geschickt worden. Für den besonderen Anlass trugen sie Geschirre und Steigbügel aus vergoldetem Messing und Sattel aus Kalbsleder, und Marguerite war sofort ganz verliebt in die vier Stuten.
Spanien hatte ihr zwei große Windhunde mit seidenweichem Fell zum Geschenk gemacht. Der graue Rüde hatte silberfarbene Ohren und das Weibchen ein hellbraunes Fell mit weißen Flecken.
Um die Menagerie zu vervollständigen, bekam sie auch noch einen farbenprächtigen Papagei, den Marguerite sofort auf den Namen Achilles taufte. Angeblich war er eine große Plaudertasche, aber die beiden Beos, die man ihr aus Österreich geschickt hatte, erwiesen sich als wesentlich drolliger und unterhaltsamer. Die beiden pechschwarzen Vögel mit ihren leuchtend orangen Schnäbeln plapperten alles nach, was sie zu hören bekamen, weshalb ihr Vokabular von den vornehmsten Redewendungen bis hin zu den unflätigen Ausdrücken reichte, die sich die Hellebardiere zuwarfen, wenn sie an ihnen vorbeigingen.
Dazu kamen noch viele andere Geschenke: Emaillearbeiten, Porzellan, Broschen, silberne Etageren, voll beladen mit Früchten aus Italien und Spanien, kostbar illuminierte Manuskripte und Bücher aus der königlichen Bibliothek.
Langsam bewegte sich der Hochzeitszug durch Blois. Milizenkompanien aus je einer Hundertschaft von Männern in Kriegsausrüstung, Fahnenträger, Piken- und Hellebardenschmiede waren an allen vier Ecken der Stadt und oben an den Schlosstoren postiert.
Auf dem Platz unten in der Stadt hatte man mit rotem Samt
überzogene Tribünen errichtet, und in der Mitte sprudelte ein Brunnen, aus dem Weißwein aus der Touraine und Clairet aus Bordeaux in Strömen flossen.
Bourdichon, der Hofmaler der Königin, hatte einhundertsechsundfünfzig Pfund für die Anfertigung der Wappenschilde erhalten, auf denen Königin Annes Hermelin und König Ludwigs Stachelschwein abgebildet und die an allen Ecken und Enden der Stadt und über jeder Ladentür zu sehen waren.
Ganz Blois verlieh der Zeremonie den prächtigen neuen Stil, der sich in den kommenden Jahrzehnten zur vollen Blüte entfalten sollte.
Die Ladenbesitzer standen vor ihren Geschäften und jubelten Marguerite zu. Unterhalb des Schlosses drängten sich die Vertreter der Handwerkerzünfte: Bäcker und Metzger, Hutmacher und Weber, Schreiner und Buchhändler überboten sich gegenseitig mit jubelnden Vivats.
Wie immer bei solchen Gelegenheiten waren die Kinder sich selbst überlassen und balgten, stibitzten und spielten nach Herzenslust.
Das einfache Volk hatte sich entlang der Schlossmauern aufgestellt, und ganz oben in den Gassen warteten die Adeligen und Großbürger.
Als Marguerite am Abend zuvor endlich nicht mehr von Verwandten und anderen Gästen umringt wurde, die sie beglückwünschen und ihr Komplimente machen wollten, hatte François noch eine lange Unterredung mit ihr gehabt, aber nur Belangloses von sich gegeben. Hatte er nicht bemerkt, wie besorgt seine sonst so unbeschwerte Schwester wirkte? Hatte er nicht die Angst hinter ihrer betont fröhlichen Miene gesehen?
François gehörte nun mal nicht zu den Menschen, die das Unbekannte fürchteten.
Aber gerade diese Sorglosigkeit, mit der er sich stets auf seine Schwester verließ, die leichtfertige Art, mit der er jeder ernsten Diskussion begegnete, und seine beiläufigen Bemerkungen – das hatte er von seinem Vater – waren die Quelle, aus der Marguerite Kraft
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