Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
Gebäude einen einzigen riesengroßen Raum machen, können wir an den Wänden unsere Teppiche aufhängen und ausstellen.«
»Auf keinen Fall, Alix«, widersprach ihr da Mathias. »Das wäre viel zu riskant! Hast du vergessen, wie viel gestohlen wird? In der Nacht ziehen solche Ausstellungen nur Räuber und Diebe an.«
»Ganz zu schweigen von der Gefahr eines weiteren Feuers, vor dem wir nicht gefeit sind. Das darfst du nicht außer Acht lassen, Alix!«, warnte auch Julio so eindringlich, dass sich alle Mienen verdüsterten. »Monsignore Jean hat es dir deutlich gesagt. Bei deinen Feinden hier in Tours, die dich Tag und Nacht beobachten, muss man nach wie vor mit dem Schlimmsten rechnen. Du solltest auf jeden Fall einen Wächter anstellen.«
»Da hast du recht«, sagte Alix. »Schließlich weiß ich nur zu gut, wie neidisch und missgünstig die Weber von Tours mir gesonnen sind. Bestimmt beobachten sie mich und planen neue Attacken. Wir brauchen wirklich einen Wächter.«
Julio nickte zustimmend.
»Aber es wird nicht einfach sein, einen zu finden, auf den wir uns vollkommen verlassen können. Da können wir nicht irgendwen nehmen.«
»Vielleicht habe ich eine Idee«, meinte Alix.
»Und was für eine?«, fragten Mathias und Julio wie aus einem Mund.
»Die Comtesse d’Angoulême schrieb mir, dass Juan und Lisette nicht in Amboise bleiben wollen. Nachdem ich jetzt Leo als Kutscher habe, könnte Juan doch sehr gut bei uns als Wächter arbeiten. Wir müssten ihm nur ein kleines Haus für seine Familie bauen, die bestimmt bald wachsen wird.«
Angela kam angelaufen und warf sich Alix in die Arme.
»Meine liebe Dame Alix! Ich hatte Euch doch versprochen, weben zu lernen. Julio ist ein hervorragender Lehrer. Ich kann schon die Schussfäden spannen und die Rapporte anbringen. Ich mache zwar noch keine großen Fortschritte, aber jeden Tag lerne ich ein bisschen dazu.«
»Das stimmt, Angela ist sehr begabt. Bald kann sie mir richtig zur Hand gehen.«
»Dann bin ja froh, dass ich dich nicht bei diesem grauenhaften, grausamen Marktschreier zurückgelassen habe.«
Der glückliche Blick, mit dem Julio Angela ansah, entging ihr nicht. In seinen schwarzen Augen entdeckte sie ein Leuchten, das ihr vorher nie aufgefallen war. Hatte er sich etwa in die Kleine verliebt, obwohl sie fast noch ein Kind war, und seinen Plan, Priester zu werden, aufgegeben?
Doch dann nickte sie und lächelte nachsichtig. War sie selbst etwa nicht erst acht Jahre alt gewesen, als sie sich unsterblich in ihren Jacquou verliebt hatte?
Ganz selbstverständlich hatte Mathias die Leitung der beiden Werkstätten übernommen. Er, der hier einmal als unerfahrener Neuling unter Arnold angefangen hatte, war jetzt mit einem Mal der Meister und hatte nur noch Alix über sich.
In Tours hieß es einhellig, die neue junge Weberin Alix Cassex habe sich für Mathias entschieden, weil der ihr immer die Treue gehalten hatte, während Arnold sein Fähnchen eher nach dem Wind drehte, wenn er auch im Allgemeinen gutmütig und ehrlich war. Das erste Mal war er, wie so viele andere auch, mit Frau und Kind vor der schrecklichen Pest geflohen und hatte sie allein und schutzlos zurücklassen müssen. Das zweite Mal ließ er sie nach dem verheerenden Feuer im Stich, weil es bei ihr nichts mehr zu tun gab und er sich eine neue Arbeit suchen musste – was Alix nur zu gut verstanden hatte.
Obwohl sich auch Mathias um sein kleines Kind kümmern musste, war er immer in ihrer Nähe geblieben, hatte Pest und Feuer getrotzt und ihr die Tränen getrocknet, wenn sie sich über all den Kummer, der über sie hereinbrach, bei ihm ausweinte. Genauso hatte er aber auch mit ihr erleichtert gelacht, sobald sich ein Hoffnungsschimmer am Horizont zeigte.
War es da nicht ganz natürlich, dass Mathias den ersten Platz unter ihr einnahm und Meister wurde? Alix bereute ihre Entscheidung nicht. Außerdem blieb Arnold schließlich Vorarbeiter, Landry würde für ihn arbeiten, und mit Pierrot hatte er auch einen Lehrling.
Niemand bezweifelte, dass Arnold ein guter Kerl war, geschickt, gewissenhaft, anständig und fleißig – da waren sich alle einig. Aber ihm fehlte es an Verantwortungsgefühl, und das braucht ein Arbeiter, wenn er nicht in seiner untergeordneten Stellung bleiben will. Mathias besaß mehr Mut und Entschlossenheit, und auch mehr Charakterstärke, was er eindrucksvoll unter Beweis gestellt hatte, als er nach dem verheerenden Brand die zerstörten Werkstätten ganz allein
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