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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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Männern bewacht. Glücklicherweise drängten sich dort zahlreiche Menschen, viele davon mit Handkarren, denn es war Markttag. Es gelang mir, mich unter sie zu mischen, und da ich weder Gepäck noch Waren mitführte, beachteten mich die Wachleute nicht, da ihre hauptsächliche Pflicht darin bestand, von den Händlern den Marktzoll einzutreiben.
    So betrat ich die Stadt, und angesichts der Großartigkeit meiner Umgebung gingen mir die Augen über. Noch nie hatte ich so viele und so große Häuser gesehen, einige davon sogar zweistöckig, wobei die oberen Stockwerke über die steinernen Untergeschosse hinausragten und die Straße beschatteten. Unzählige Menschen waren unterwegs, Männer in den verschiedensten Trachten, Handwerker, Kaufleute, Knechte und Bettler, dazwischen Frauen mit Säuglingen auf den Armen und spielende Kinder. Während ich erwog, wen ich nach dem Weg zum Kloster fragen sollte, wurde ich auf einen Bauern aufmerksam, der einen Handkarren mit Kohlköpfen durch die Straßen zog. Der Anblick erfüllte mich mit derartigem Verlangen, dass ich mich an seine Fersen heftete und ihm bis zum Fluss folgte. Eine Brücke führte zum gegenüberliegenden Ufer, wo der westliche Teil der Stadt den Marktplatz umschloss. Dort angekommen, stellte der Bauer seinen Karren ab und schloss sich den Reihen der Händler an.
    Rasch vergaß ich meine ursprüngliche Absicht, mich sogleich zum Kloster zu begeben. Stattdessen packte mich überwältigendes Verlangen angesichts der Überfülle von Obst und Gemüse, und ich verschob die Ausführung meines Plans, um zunächst etwas für meinen leeren Magen zu tun. Eine Zeitlang beobachtete ich das rege Treiben vom Straßenrand aus und wagte kaum, den Ständen näher zu kommen, aus Angst, meine Hand würde sich wie von selbst ausstrecken und einen Apfel, ein Brot oder eine Mohrrübe ergreifen.
    Während ich so dastand, bemerkte ich, dass auch andere Mittellose sich eingefunden hatten, zumeist an den Ecken der zuführenden Straßen: Bettler, die an den Hauswänden kauerten und flehentlich die Hände nach den Marktbesuchern ausstreckten. Neugierig beobachtete ich einen alten Mann, der auf Holzkrücken gestützt stand, da sein linkes Bein oberhalb des Knies abgetrennt war. Er hatte eine Schulter gegen die Mauer gelehnt, um sich aufrecht halten und einen seiner dürren Arme ausstrecken zu können. Gelegentlich hielt einer der Vorübergehenden an, öffnete seinen Geldbeutel und ließ eine Münze in die Hand des Alten fallen, woraufhin dieser mit brüchiger Stimme rief: „Vergelt’s Gott! Nennt mir Euren Namen, Herr, damit ich für Euch beten kann.“
    In ähnlicher Weise sah ich auch andere Bettler verfahren, etwa eine ausgemergelte junge Frau mit mehreren kleinen Kindern und einen Mann, der mit leerem Blick in die Menge starrte und offensichtlich blind war. Mangels anderer Möglichkeiten versuchte ich diese Unglücklichen nachzuahmen, senkte demütig den Kopf, streckte die rechte Hand aus und verharrte in der Hoffnung auf eine Gabe – doch niemand beachtete mich. Vielleicht lag es daran, dass ich weder einbeinig noch blind und meine Bedürftigkeit weniger offenkundig war.
    Während ich vergeblich wartete, ließ ich den Blick schweifen und entdeckte einen Mann, der eine weit elegantere Methode praktizierte, um sich in den Besitz fremden Gutes zu bringen. Er trug einen weiten Umhang aus grobem Wolltuch und das lange Haar eines Freien, sah jedoch nicht wie ein Stadtbürger aus, sondern eher wie ein fahrender Geselle, der die gute Kleidung nicht gewohnheitsmäßig trug. Zwar schlenderte er mit selbstsicherem Schritt durch die Menge und musterte scheinbar gelangweilt die angebotenen Waren, doch seine dunklen Augen schossen unruhig und beinahe lauernd umher. Als er an einem Obststand vorbeikam, beobachtete ich, wie er im Vorbeigehen eine Hand unter dem Umhang hervorstreckte, um einen Apfel zu ergreifen und ihn rasch in den Falten des Wolltuchs zu verbergen.
    Ich weiß nicht, welcher Teufel es war, der mich in den Bann dieses gemeinen Diebs schlug und mich die einfachste und zugleich gefahrvollste Möglichkeit ergreifen ließ, etwas für meinen leeren Magen zu tun. Wie unter einem Zwang löste ich mich von der Hauswand, mischte mich unter die Menge und ließ zu, dass meine Füße mich zu demselben Obststand trugen, wo der Dieb den Apfel entwendet hatte. Der Besitzer des Standes, ein bäuerlich gekleideter Alter, hatte den Diebstahl nicht einmal bemerkt; stattdessen zankte er mit einer

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