Die Tränen der Vila
verächtlich aus. Dann hob er sein Schwert.
Ein weiterer Ruf unterbrach das Geschehen, und ungläubig sah ich, wie der erhobene Arm des Kriegers langsam wieder herabsank. Ein Pferd trabte vom Lager herüber, das inzwischen in hellen Flammen stand. Die Krieger wichen ehrerbietig zurück, und selbst mein Gegner wandte sich dem Reiter zu, der einen prächtigen roten Schild und einen spitzen Helm mit Nasenschutz trug. Der Reiter richtete seine grauen Augen zuerst auf mich, dann auf seine Männer und sagte etwas, das ich nicht verstand – die Sprache allerdings war dem Deutschen nicht unähnlich, und ich erriet, dass er Auskunft verlangte, was hier vorging.
„Wir sind Kreuzfahrer!“, rief Hartmann. „Dieser Mann ist mein Diener! Tut ihm nichts zuleide, und auch seinem Mädchen nicht! Ich bürge für ihn.“
Der Reiter musterte Hartmann misstrauisch. Dann nahm er seinen Helm ab, unter dem ein längliches Gesicht mit glattem Blondhaar und schütterem Bart zum Vorschein kam.
„Wer seid Ihr?“, fragte er. Er sprach Deutsch, jedoch wie einer, der diese Sprache nur gelegentlich gebrauchte.
„Hartmann von Aslingen“, antwortete mein Herr. „Ritter im Dienst Heinrichs, des Herzogs von Sachsen. Darf ich fragen, wer Ihr seid?“
„Ich bin Knut Magnusson“, erwiderte der Reiter hoheitsvoll. „Herr von Jütland.“
Hartmann verbeugte sich, woraus ich schloss, dass der Däne ein Fürst von hohem Rang sein musste.
„Ich bitte Euch, Herr“, sagte er, „vergebt meinem Diener und verschont sein Leben. Nach allgemeinem Brauch verantwortet der Herr die Taten seines Dieners – ich stehe zu Eurer Verfügung.“
In diesem Moment ließ mein vierschrötiger Gegner einen Wutschrei vernehmen und hob erneut das Schwert.
„Erik!“, rief Knut, der Herr von Jütland, und gebot ihm mit erhobener Hand Einhalt. Der Angesprochene ließ widerwillig seine Klinge sinken. „Sag mir, was geschehen ist!“
Der Krieger mit Namen Erik ließ ein paar hastig hervorgestoßene Sätze hören, die von zornigem Geknurre und wilden Gesten in meine Richtung durchsetzt waren.
„Hat er dich verwundet?“, fragte Knut.
Erik verzog den Mund und legte schließlich – nicht ohne einen Ausdruck der Beschämung – eine Hand auf die Rückseite seines linken Schenkels. Einige der Männer lachten, verstummten jedoch sofort, als sein wütender Blick sie traf.
„Warum hast du das getan?“, wandte sich Knut an mich.
Ich suchte verzweifelt nach einer Antwort, doch Hartmann kam mir zuvor.
„Er wollte sein Mädchen schützen“, sagte er.
„Sein Mädchen?“ Knut blickte in die Runde und bemerkte schließlich Lana, die sich in den Armen eines der Männer wand. „Diese dort?“
„Ja, Herr.“
Erneut stieß Erik einen Fluch aus, trat zu Lana hinüber, packte das Amulett und hielt es in die Höhe.
„Das ist eine Wendin“, erkannte Knut. „Was habt Ihr mit den Wenden zu schaffen?“
„Wir wurden gefangen genommen“, sagte Hartmann.
„Gefangen genommen?“ Knut runzelte die Stirn. „Ihr seid nicht gefesselt, ihr tragt Waffen, und Euer Diener verteidigt eine Wendin. Könnt Ihr mir das erklären?“
„Herr“, begann Hartmann, „wir wurden vom Herzog ausgeschickt, um Nahrungsmittel zu beschaffen, doch die Wenden nahmen uns gefangen. Dass man uns nicht fesselte und uns die Waffen ließ, verdanken wir jenem Mädchen dort.“
Der Däne kniff die Augen zusammen und musterte Hartmann mit deutlichem Misstrauen. „Habt Ihr Besitzungen in Sachsen, Ritter?“
„Nein“, antwortete Hartmann.
„Seid Ihr Soldritter?“
Hartmann zögerte; offenbar ahnte er, worauf der Däne hinauswollte.
„Ich verstehe“, sagte Knut mit einem verächtlichen Nicken. „Ein Mann, der seine Dienste dem Meistbietenden anträgt. Das erklärt alles. Ich vermute, Ihr seid zu den Wenden übergelaufen.“
„Nein, Herr, in Gottes Namen!“, rief Hartmann erschrocken. „Ich schwöre bei allen Heiligen …“
„Schwört lieber nicht“, versetzte Knut trocken. „Ihr habt Euch schon genug versündigt, indem Ihr Gemeinschaft mit den Heiden pflegt und ihre Töchter zu Gespielinnen nehmt. Ihr habt Euer Kreuzzugsgelübde gebrochen und womöglich gar dem Glauben an unseren Herrn Christus abgeschworen.“
„Herr, ich bitte Euch!“, begann Hartmann von neuem, doch der Däne wandte sich ab, setzte den Helm wieder auf und gab seinen Männern ein Zeichen. Diesmal verstand ich die Worte in der fremden Sprache ohne größere Schwierigkeiten: „Legt sie in Fesseln –
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