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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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Da es nicht abbrach, konnte ich nur den Schluss ziehen, dass man sie ins Freie gezerrt und zu Boden geschleudert hatte, um ihnen Gewalt anzutun. Selbst Ziegen und Schweine kreischten in Todesnot; offenbar wurden auch sie eingefangen und niedergestochen.
    Lana umklammerte mich so fest, dass ich ihre Finger schmerzhaft im Rücken spürte. Warme Nässe rann mir in den Ausschnitt, während sie an meinem Hals verzweifelt weinte. Erneut metzelten christliche Krieger ihr Volk, wie schon bei der Zerstörung ihres Heimatdorfes, und obwohl ich selbst vor Grauen und Schmerz zitterte, konnte ich kaum erahnen, welches Entsetzen sie ausstehen mochte.
    Plötzlich spürte ich eine Bewegung, erschrak und öffnete die Augen. Einer der Krieger, die uns umstanden, hatte das hölzerne Amulett gepackt, das Lana an einer Kordel um den Hals trug. Er zog es mit einem Ruck zu sich heran, was zur Folge hatte, dass Lana aus meinen Armen gerissen wurde und erschrocken würgte. Der Mann – ein kurzgewachsener Mensch mit so starkem Kreuz, dass er nahezu ebenso breit wie lang wirkte – musterte das geschnitzte Holzstück. Dann richtete er seine hellblauen Augen auf Lana und stieß zischend ein Wort aus, das ich nicht verstand, in dem jedoch deutliche Verachtung schwang. Er ließ das Amulett los, packte Lana und schleuderte sie mit einem kräftigen Stoß ins Gras.
    „Nein!“, schrie ich und wollte ihr beispringen, doch erneut reckten die Männer ihre Speere und drängten mich zurück an Hartmanns Seite.
    Lana schrie und streckte die Hand nach mir aus, während der Krieger einen ihrer nackten Füße packte und sie wie ein leichtgewichtiges Bündel zum Rand der Böschung schleifte. Sie wehrte sich verzweifelt und trat mit dem freien Fuß nach ihm; er jedoch packte auch diesen, zwang ihre Beine auseinander und warf sich über sie.
    Dieser Anblick löschte alle Furcht in meinem Herzen und verlieh mir Todesmut. Mit einem Schrei duckte ich mich unter den Speeren hinweg, rollte mich zur Seite und zwischen den Beinen der überraschten Männer hindurch. Einem von ihnen hieb ich den Ellbogen in die Kniekehle, so dass er mit einem erschrockenen Keuchen ins Gras stürzte. Dann rappelte ich mich auf – eben noch rechtzeitig, um einem Speer auszuweichen, der knapp hinter mir in den Boden drang – und rannte los.
    „Odo!“, brüllte Hartmann. Ich warf einen Blick über die Schulter und sah, wie die Krieger mir nachsetzten. Hartmann jedoch, für den Moment ihrer Aufmerksamkeit ledig, hatte blitzschnell sein Schwert ergriffen und in hohem Bogen in meine Richtung geworfen. Ich sah die Klinge im Flug und folgte ihr mit den Augen, ohne im Lauf innezuhalten, bis sie wenige Schritte vor mir zu Boden fiel. Mit einem Hechtsprung warf ich mich darauf, packte den Griff und war im nächsten Moment bei Lana.
    Ohne recht zu zielen, schwang ich das Schwert gegen den Mann, der sich auf sie gewälzt hatte und eben damit beschäftigt war, seine Bruche herabzuzerren. Der Schlag war ungeschickt und brachte mich ins Stolpern – doch ich traf, und die Klinge zerschnitt die Gewandschöße und brachte dem Mann eine oberflächliche, doch stark blutende Wunde am Schenkel bei. Mit einem wütenden Schrei fuhr er hoch. Lana nutzte die Gelegenheit, entwand sich ihm und flüchtete zur Böschung, wurde jedoch schon nach wenigen Schritten von meinen Verfolgern aufgegriffen.
    Ich rechnete bereits damit, von ihnen niedergestochen zu werden, doch der vierschrötige Krieger, den ich verletzt hatte, gebot ihnen mit erhobener Hand Einhalt. Man umringte uns, während er mit hasserfüllt blitzenden Augen auf mich zutrat und sein Schwert zog. Ich begriff, dass er seine Rache mit eigener Hand vollziehen wollte – und zugleich, dass ich in diesem Duell hoffnungslos unterlegen war. Der Mann war zwar kleiner als ich, doch fast doppelt so breit, hatte Beine wie Baumstämme, den Brustkorb eines geübten Ringers und Arme wie ein Bär. Er schien recht gut zu wissen, dass ich kein ernstzunehmender Gegner war, umkreiste mich mit gemächlichen Schritten und schien offenbar nachzusinnen, ob er mir sogleich den Kopf oder zuerst Arme und Beine abschlagen sollte. Ich folgte jeder seiner Bewegungen und wartete mit wild klopfendem Herzen auf den unvermeidlichen Angriff.
    „Haltet ein!“, hörte ich die Stimme Hartmanns, der auf seiner Krücke zum Kampfplatz herübergehinkt kam. „Er ist mein Diener, ein Kreuzfahrer und sächsischer Edler!“
    Mein Gegner wandte nicht einmal den Kopf, sondern spuckte nur

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