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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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geeinigt haben und gemeinsam gekommen sind.“
    „Aber es sind doch kaum mehr als zweihundert Mann“, wandte ich ein.
    „Das ist gewiss nicht das ganze Heer“, versetzte Hartmann. „Sicher haben wir es nur mit einem Spähtrupp zu tun.“
    Ich versuchte Hartmanns Erklärungen sinngemäß ins Wendische zu übersetzen, und Lana lauschte schweigend.
    „Aber wie haben sie uns gefunden?“, fragte sie. „Dieser Ort galt immer als sicher, denn er ist auf drei Seiten vom Moor umgeben, und bisher hat kein Feind ihn jemals erreicht.“
    Wieder übersetzte ich, und Hartmann nickte düster.
    „Auf drei Seiten – nur im Norden nicht. Wenn die Dänen an der Küste gelandet sind, kommen sie von Norden und sind vermutlich zufällig auf uns gestoßen.“
    „Und was werden sie tun?“, fragte ich.
    „Ich nehme an, sie versuchen die Burg Dobin zu finden, um das Heer des Herzogs zu verstärken.“
    „Ich meine: Was werden sie mit uns tun?“
    Hartmann schwieg eine Weile. „Ich weiß es nicht“, sagte er schließlich. „Lass uns hoffen, dass sie den Weg finden, denn wenn wir zu unserem Heer stoßen, wird der Herzog uns befreien.“
    „Und was wird aus Lana?“, fragte ich beklommen.
    Aufgrund unserer Fesseln vermochte keiner dem anderen ins Gesicht zu sehen. Aus dem Augenwinkel aber nahm ich wahr, wie Hartmann den Kopf verdrehte, um in Lanas Richtung zu sprechen.
    „Wendenmädchen, um ein Haar hätte ich dir Gewalt angetan – und ich habe meine Strafe empfangen, denn du hast mir das Bein zerschlagen. Aber glaub mir: Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um dich zu beschützen, denn Odo liebt dich, und er ist mir teuer.“
    Es fiel mir schwer, Lana diese Worte zu übersetzen, teils aus mangelnder Sprachkenntnis, teils aus plötzlicher Rührung, die mir die Stimme verschlug.
    Die Nacht ging dahin, und es war spät, als die Dänen endlich zur Ruhe kamen. Die meisten waren betrunken, und selbst die wenigen Wachen, die man aufgestellt hatte, setzten sich bald nieder und dösten. Wahrscheinlich hätte niemand es bemerkt, wenn wir uns losgewunden und davongeschlichen hätten, doch die Fesseln waren stramm angezogen und widerstanden jedem Befreiungsversuch. So blieb uns nichts anderes übrig, als eine höchst unbequeme Nacht an jenem Baumstamm zu verbringen, wobei uns sämtliche Glieder vor Krämpfen schmerzten.
    Die Sonne war längst aufgegangen, als die Dänen sich regten. Knut von Jütland scheuchte die verkaterten Männer hoch und befahl, sämtliche Beute zu schultern und die verbliebenen Tiere an Stricken fortzuführen. Auch wir wurden losgebunden, kamen schwankend in die Höhe und versuchten, uns auf unseren taub gewordenen Füßen zu halten. Auf Anweisung Knuts legte der Hauptmann Erik uns Halsfesseln an, wobei er mit keinem von uns besonders zartfühlend umging. Ein und derselbe Strick wurde um Hartmanns Hals geschlungen, dann mit zwei Ellen Abstand um meinen und schließlich um denjenigen Lanas, so dass wir wie drei Ochsen in einem Joch gingen. Das vordere Ende des Stricks packte Erik und zog uns voran. Immerhin wurde es Hartmann gestattet, seine Krücke zu benutzen, damit er nicht die gesamte Prozession ins Stolpern brachte.
    Die Dänen wandten sich zurück nach Norden – fort von dem zerstörten Lager, quer durch den Wald und vorbei an der Lichtung, wo ich so oft mit Lana im Gras gesessen hatte. Kein Nebel lag mehr über dem verwunschenen Ort. Es war, als sei der Geist, der dort Nacht für Nacht seinen Zauber gewoben hatte, aufgestört worden und für immer entflohen.
    Wir wanderten zwei Stunden, bis der Wald sich lichtete und die rauchenden Trümmer eines wendischen Dorfes auftauchten. Hier bestätigte sich Hartmanns Vermutung, denn der gesamte Ort war von einem riesigen Heerlager aus Hunderten von Zelten eingeschlossen. Kaum waren wir gesichtet worden, als mehrere Edle zu Pferd uns entgegenkamen. Ein schwergewichtiger Mann mit wallendem Bart bereitete Knut einen recht kühlen Empfang – augenscheinlich war es sein Vetter Sven, der noch bis vor kurzem mit ihm um die Krone gestritten hatte.
    „Du bringst Gefangene?“, fragte er ohne weitere Begrüßung.
    „Wir fanden sie in einer Senke, wo sich wendische Bauern versteckt hatten“, erklärte Knut, dessen Dänisch ich inzwischen recht gut verstehen konnte. „Die beiden Männer behaupten, sächsische Edle zu sein. Sie waren allerdings weder gefesselt, noch wurden sie bewacht – und der Junge trug eine Waffe und erhob sie gegen den Hauptmann meiner

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