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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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tanzten, wirkten seltsam tröstlich auf mich. Mit keinem Wort war in ihnen von Schuld und Sünde, von Krieg und Fehden, von Macht und Geld die Rede, und ich fühlte mich wie in eine Märchenwelt versetzt. Selbst Hartmann, der bislang wenig über das Leben der Wenden wusste, lauschte gebannt, und ich musste ihm vieles ins Deutsche übersetzen, was ihn interessierte.
    Am Nachmittag sahen wir zu unserem Erstaunen, dass eine Gruppe von Männern auf uns zukam, unter denen sich Knut von Jütland befand. Erik folgte ihnen in einigem Abstand und mit ungewöhnlich beschämter Miene.
    „Endlich!“, seufzte Hartmann. „Sie müssen Nachricht von Herzog Heinrich erhalten haben.“
    Als die Männer jedoch näher kamen, gingen sie achtlos an uns vorbei und hielten geradewegs auf Lana zu, die sich an den Baum drückte und die Arme vor der Brust verschränkte.
    „Herr!“, rief Hartmann. „Habt Ihr Nachricht vom Herzog?“
    Knut wandte sich unwillig zu ihm um. „Nein. Offenbar nimmt der Herzog eure Angelegenheit nicht besonders wichtig“, versetzte er. „Im Augenblick jedenfalls haben wir anderes zu klären.“
    Er wandte sich Lana zu, um ihr ins Gesicht zu sehen, vorsichtig und jederzeit zum Zurückspringen bereit, als nähere er sich einem wilden Tier.
    „Sie erscheint mir harmlos“, sagte er schließlich. „Ein ganz gewöhnliches Mädchen.“
    „Sie hat bereits den sächsischen Jungen dort verführt“, sagte Gunnar, der neben ihm stand, und deutete zu mir herüber. „Und nun ist auch noch Erik unter ihren Bann gefallen. Das war der Grund für die Schlägerei.“
    „Wir glauben, dass sie eine Hexe ist“, sagte einer der anderen Männer, „und dass sie heidnische Zauber webt, um unsere Herzen zu verderben. Wir sollten sie verbrennen.“
    „Was?“, fuhr ich entrüstet auf, dass die Kette an meinem Hals rasselte. „Ihr gebt Lana die Schuld, dass dieser Mensch“, ich deutete auf Erik, „ihr Gewalt antun wollte?“
    Glücklicherweise schien Erik nicht verstanden zu haben, dass von ihm die Rede war; er verharrte noch immer mit gesenktem Kopf wie ein reuiger Sünder. Knut jedoch zog sein Schwert und richtete es drohend auf mich.
    „Schweig, Junge!“, sagte er barsch. „Wenn diese Frau tatsächlich über Zauberkräfte verfügt, solltest du uns dankbar sein, wenn wir auch deine Seele von ihrem unheilvollen Einfluss befreien!“
    „Aber …“
    „Kein Wort mehr!“, schrie Knut und hob das Schwert.
    Ich verstummte – was hätte ich anderes tun können.
    „Lasst uns sie verbrennen, Herr!“, wiederholte einer der Männer, und die übrigen murmelten zustimmend.
    Knut strich sich unentschlossen den Bart. „Soweit ich weiß, ist die heilige Kirche der Auffassung, dass Gott das Wirken von Hexen nicht zulässt.“
    „Aber alle sagen, dass die Wenden mit Dämonen im Bunde stehen und Geister beschwören können!“, gab Gunnar zu bedenken.
    „Ich weiß nicht, ob das wahr ist“, meinte Knut unentschlossen. „Es wird das Beste sein, wenn ich meinen Beichtvater befrage. Unternehmt einstweilen nichts; ich gebe euch morgen Bescheid.“
    Damit wandte er sich um und ging zu seinem Zelt zurück.
    Die Männer murrten rebellisch, als er fort war.
    „Wir sollten sie sofort töten“, sagte einer, „nur zur Sicherheit, was immer Knuts Beichtvater auch sagen mag.“
    „Aber er hat es verboten!“, warf ein anderer ein.
    „Es muss ja niemand erfahren“, entgegnete der erste. „Wir könnten sie erdrosseln und behaupten, sie habe versucht zu fliehen und sich dabei mit ihrem Halseisen erwürgt.“
    „Also gut“, sagte Gunnar. „Wer tut es?“
    Keiner der Männer regte sich. In der Gruppe mochte ihre Entschlossenheit stark sein, doch sobald es zu handeln galt, wollte keiner der Erste sein.
    „Tu du es doch!“, ließ sich schließlich einer der Männer vernehmen, an Gunnar gewandt.
    Gunnar biss sich auf die Lippe, machte einen zögernden Schritt auf Lana zu und verharrte unschlüssig. Währenddessen duckte ich mich am Boden, bereit, vorzuschnellen und in seine Richtung zu springen, sobald er Anstalten machte, sein Vorhaben auszuführen. Es war ein verzweifelter Versuch. Angekettet, wie ich war, würde ich ihn nicht einmal erreichen, sondern allenfalls erschrecken und ablenken können. Dennoch war ich entschlossen, das Äußerste zu wagen.
    In diesem Moment jedoch erwachte Erik aus seiner erstarrten Haltung, zog sein Schwert und vertrat Gunnar den Weg.
    „Zurück!“, knurrte er.
    „Erik!“, sagte Gunnar beschwichtigend,

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