Die Tränen der Vila
ahnte ich freilich noch nicht.
Knut von Jütland ließ sich an diesem Tag nicht blicken; lediglich ein Diener durchquerte gelegentlich den Eingang seines Zelts. Als schließlich der Abend hereinbrach und Erik mit ein paar Essensresten zu uns herüberkam, konnte Hartmann sich nicht mehr beherrschen.
„Wo ist Knut?“, fragte er aufgebracht. „Sag deinem Herrn, dass ich mit ihm sprechen muss!“
Statt einer Antwort warf ihm Erik einen Fetzen Hammelfleisch vor die Füße.
„Hundsfott“, zischte Hartmann leise – recht waghalsig, wie mir schien, doch zum Glück war der Däne in deutschsprachigen Schimpfwörtern offenbar nicht bewandert. Er schenkte uns keine weitere Aufmerksamkeit mehr, sondern ging zu Lana hinüber, um ihr eine Hammelkeule hinzuhalten. Am Vortag hatte sie ihre Ration mit mir geteilt, diesmal jedoch blieb Erik stehen und beobachtete sie, so dass ihr nichts anderes übrigblieb, als den Knochen sauber abzunagen und mir einen bedauernden Seitenblick zuzuwerfen. Sie leerte ihren Wassernapf, und auch hierbei sah der Däne zu. Schließlich blickte er kurz über die Schulter, als wollte er sich vergewissern, dass die Männer drüben am Feuer ihn nicht beachteten. Dann ließ er sich im Gras nieder und flüsterte Lana etwas zu.
„Was will er von ihr?“, fragte Hartmann stirnrunzelnd.
Lana drehte sich weg und zeigte ihr steinernes Gesicht, wie ich es bei mir nannte: einen Ausdruck angespannter, doch äußerlich gleichgültiger Härte. Erik jedoch redete weiter auf sie ein und streckte schließlich die Hand nach ihrem nackten Knie aus.
Bei diesem Anblick vergaß ich alle Vorsicht und warf mich nach vorn, dass die Kette an meinem Hals klirrte.
„Lass sie in Ruhe!“, schrie ich. „Lass sie in Ruhe, verdammter …“
Ich kam nicht dazu, ein ähnlich schlimmes Schimpfwort wie Hartmann zu benutzen, denn Erik erhob sich augenblicklich und trabte mit drohender Miene auf mich zu. Ich machte mich auf einen Stiefeltritt gefasst, drängte mich rücklings an den Baum und zog die Beine an. Der Däne jedoch ergriff meine Füße, streifte die abgetragenen Lederschuhe herunter und zog die wollenen Stoffbeinlinge herab. Ich war derart verdutzt, dass ich mich in keiner Weise wehrte. Erst als ich begriff, was er vorhatte, wand ich mich unter seinem Griff, doch zu spät: Erik packte meinen Kopf, knüllte einen der Beinlinge zusammen und stopfte ihn mir wie einen Knebel in den Mund. Den zweiten benutzte er, um mir die Hände auf dem Rücken zusammenzubinden. Nach getaner Arbeit ging er in aller Seelenruhe zu Lana zurück und setzte sich neben sie.
Ich stöhnte in meinen Knebel und blickte vorwurfsvoll zu Hartmann hinüber.
„Was sollte ich denn tun?“, flüsterte er mir zu.
In diesem Moment ließ Lana einen unterdrückten Aufschrei hören, und ich wandte den Kopf. Erik hatte ihr eine seiner muskulösen Hände auf den Mund gelegt und strich mit der anderen über ihr nacktes Bein. Lana starrte ihn mit entsetzt geweiteten Augen an.
Ich wand mich verzweifelt und stieß einen Schrei aus, der in dem wollenen Knebel erstickte. Diesmal bemühte sich der Däne offenbar um eine – für seine Verhältnisse – etwas zartere Annäherung, was die Sache in gewisser Weise noch schlimmer machte. Zwar hielt er ihr den Mund zu, doch er machte keine Anstalten, über sie herzufallen. Stattdessen drückte er ihre Schenkel mit erstaunlicher Selbstbeherrschung, denn bei vollem Krafteinsatz hätte er sie vermutlich ohne Mühe brechen können. Gleichzeitig näherte er sein Gesicht dem ihren, so dass die Flechten seines blonden Barts über ihre Wange streiften.
Ich brüllte in meinen Knebel und rasselte mit meiner Kette, so laut ich es vermochte. Diesmal jedoch war es Hartmann, der die Situation rettete. Kurz entschlossen stemmte er sich auf seiner Krücke in die Höhe, legte beide Hände um den Mund und schrie zum Lagerfeuer hinüber:„Heda! Schaut her! Heda!“
Zunächst begriff ich nicht, auf welche Weise dieser Ausruf uns helfen sollte. Dann aber sahen sämtliche Männer am Lagerfeuer zu uns herüber, und einer von ihnen – der Krieger mit Namen Gunnar – brach in Lachen aus und deutete mit dem Finger auf Erik.
Der Hauptmann fuhr erschrocken in die Höhe. Unter gewöhnlichen Umständen schämte er sich gewiss nicht, vor den Augen seiner Kameraden über eine Gefangene herzufallen – doch in Lanas Fall schien es anders zu sein. Im Kampf mochte er ohne Skrupel morden und notzüchtigen; zärtliche Regungen dagegen empfand er
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