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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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wobei er langsam vor ihm zurückwich. „Dieses Weib hat dich behext! Siehst du das nicht ein? Komm doch zur Vernunft!“
    „Komm du zur Vernunft!“, gab Erik zurück. „Du hast gehört, was Knut gesagt hat. Und jetzt zurück ans Lagerfeuer – das gilt auch für euch!“, fügte er hinzu, als die anderen Männer ihn befremdet anstarrten.
    Und das Wunder geschah: Einer nach dem anderen wandte sich um, und sie zogen ab, murrend, doch gehorsam. Als Letzter gab sich auch Gunnar unter Eriks drohendem Blick geschlagen und trat den Rückzug an.
    Erik blickte ihnen nach, als sie sich drüben am Lagerfeuer niederließen, folgte ihnen jedoch nicht. Stattdessen setzte er sich an Ort und Stelle mit untergeschlagenen Beinen ins Gras, die blanke Klinge auf den Knien.

Wie wir zum dritten Mal in Gefangenschaft gerieten
    Die Nacht brach herein, und diesmal fand keiner von uns Schlaf, da Erik seinen einsamen Wachposten nicht mehr verließ. Hartmann und ich wechselten besorgte Blicke, wagten jedoch nicht zu sprechen, denn der Hauptmann saß keine fünf Ellen von uns entfernt am Boden. Lana hatte sich an ihren Baumstamm gekauert und ließ keine Regung erkennen. Das Schlimmste war, dass Eriks Anwesenheit mich daran hinderte, ihr Trost zuzusprechen. Glücklicherweise verstand sie weder Deutsch noch Dänisch und hatte daher nicht verstanden, wie die Männer sich darüber ereiferten, ob man sie verbrennen oder erdrosseln oder doch lieber bis zum nächsten Tag warten sollte.
    Es blieb mir nur zu hoffen, dass der Priester, den Knut befragen wollte, ihn von seinem Verdacht gegen Lana abbrachte. In meiner Not versuchte ich zu beten, doch die Besinnung auf Gott gewährte mir keinen Trost mehr. Er hatte geduldet, dass Lanas Familie getötet wurde; warum also sollte er ihr Leben retten? Während ich fruchtlos grübelte, sank die Nacht herab. Es wurde still im Lager, und selbst die Männer drüben am Feuer hatten sich niedergelegt, um ihren Rausch auszuschlafen. Dunkelheit und Stille umfingen mich wie Spiegelbilder meiner Verzweiflung, und ich fröstelte angesichts des verhangenen Himmels. Kein Stern blinkte, kein Auge Gottes sah auf mich herab.
    Derart in finsterste Gedanken versunken, fuhr ich erschrocken auf, als Hartmann mich beim Arm packte.
    „Hörst du das?“
    Ich lauschte. Am südlichen Rand des Lagers, in der Nähe des Burgwalls, war Unruhe entstanden. Es klang wie fernes Waffengeklirr, durchsetzt von Schreien. Ich reckte den Kopf und bemerkte wandernde Lichtflecke wie von Fackeln. Der Aufruhr näherte sich, und schließlich glaubte ich schattenhafte Gestalten zu erkennen, die zwischen den Zelten dahinschwärmten.
    „Das müssen die Wenden sein!“, rief Hartmann. „Sie machen einen Ausfall – kein Wunder bei der mangelnden Wachsamkeit der Dänen.“
    Erik, der im Sitzen eingedöst war, regte sich plötzlich und packte sein Schwert. Die Männer drüben am Feuer schliefen, betäubt vom Met. Das besiegelte ihr Schicksal, als plötzlich eine ganze Welle von Angreifern den Platz stürmte. Es mochten rund zweihundert Mann sein, sämtlich mit Speeren, Äxten und hölzernen Rundschilden bewaffnet. Noch ehe die Dänen auf den Beinen waren, wurden sie überrannt und niedergehauen. Gunnar, der sich als Einziger aufgerappelt hatte und losgerannt war, wurde von einem Speer getroffen. Dann stürmte Knut von Jütland aus seinem Zelt, mit gezücktem Schwert und von mehreren Männern begleitet – doch die Angreifer drangen mit vielfacher Überzahl auf sie ein, so dass sie sich nach wenigen Hieben zur Flucht wandten.
    „Gebt Alarm!“, schrie Knut, als sie zum nördlichen Rand des Lagers eilten. Einer seiner Begleiter hob ein Horn an die Lippen und blies ein weithin hallendes Signal.
    Inzwischen kamen zwei Dutzend Angreifer auf die Bäume zugerannt, an denen Hartmann, Lana und ich angekettet waren. Erik hob mit einem heiseren Schrei sein Schwert. Dem ersten Gegner, der sich näherte, schlug er mit einem gewaltigen Streich den Speerschaft entzwei; den zweiten schleuderte er mit einem Stoß seiner Schulter zu Boden, und den dritten traf seine Klinge auf Nabelhöhe, so dass er mit klaffendem Bauch rückwärts taumelte. Dann aber warfen sich fünf oder sechs Männer gleichzeitig auf ihn, und nach einem blutigen Ringkampf drückten sie ihn mit dem Gewicht ihrer Leiber nieder.
    Während all das geschah, hatten Hartmann und ich uns mit dem Rücken an den Baum gedrängt, um nicht in den Kampf verwickelt zu werden. Noch konnten wir nicht ermessen, was

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