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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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ihren Brüsten wandern. Sie verzog vor Abscheu das Gesicht und wand sich unter seinem Griff. Der Anblick ließ mich rasen vor Wut, doch mein Halseisen gestattete mir nicht, auch nur in die Nähe der Männer zu kommen. Diese johlten begeistert, als Gunnar auch Lanas Hüften einer Prüfung unterzog und schließlich nach dem Saum ihres Kleids griff.
    „Das reicht!“, schrie Erik wütend, zog sein Schwert, packte Lana und riss sie grob aus Gunnars Armen. Der überraschte Däne stolperte und fiel rücklings ins Gras. Lana freilich erging es nicht besser, denn Erik hatte sie mit solcher Wucht zur Seite geschleudert, dass auch sie sich am Boden wiederfand. Währenddessen war Erik auf Gunnar zugetreten und deutete mit der Schwertspitze auf seine Kehle.
    „Du rührst sie nicht an, verstanden?“, sagte der Hauptmann derart drohend, dass sein Gegner ihn erschrocken anstarrte und zittrig mit dem Kopf nickte. Befriedigt wandte Erik sich ab, steckte das Schwert ein und griff nach dem dritten Halseisen. „Und jetzt hilf mir!“
    Lanas Kette wurde an einen benachbarten Baum genagelt – eben weit genug entfernt, dass wir einander nicht erreichen konnten. Dann stellte Erik je einen hölzernen Napf mit Wasser an beide Bäume und winkte seinen Männern zu gehen.
    „Lana!“, rief ich, sobald sie fort waren, warf mich ins Gras und streckte den Arm so weit, wie die Kette es zuließ. Sie tat dasselbe, doch es blieb eine knappe Elle Abstand zwischen unseren Händen.
    „Das ist sinnlos, Odo“, sagte Hartmann müde und griff nach dem Wassernapf. „Er hat uns absichtlich getrennt. Hier – trink einen Schluck! Und dann sollten wir versuchen zu schlafen.“
    Wir tranken, und Hartmann bettete sich seufzend ins Gras, wobei er trotz des Halseisens nicht darauf verzichtete, wie gewöhnlich die Hände unter dem Kopf zu verschränken.
    Die Nacht war längst hereingebrochen, und die Lagerfeuer der Dänen brannten niedriger und verloschen endlich. Ich litt darunter, Lana nicht mehr berühren zu können, und spürte, dass es ihr genauso ging. Wir behalfen uns, indem wir einander kleine Zeichen des Trostes und der Zärtlichkeit zuwarfen: ein Streicheln der ausgestreckten Hand in der Luft, ein Zwinkern, ein Spitzen der Lippen. Erst als die letzten Feuer verloschen waren und ich den Schimmer ihrer Augen im Dunkeln nicht mehr ausmachen konnte, lehnte ich mich rücklings an den Baum und fiel in einen unruhigen Schlaf.
    Wir erwachten am frühen Morgen und rieben uns die tauben Glieder, da wir infolge der Halseisen recht unbequem geruht hatten. Hartmann war missgelaunt, denn er hoffte auf baldige Botschaft vom Herzog und konnte kaum abwarten, dass die Dänen sich regten. Dies dauerte lange, denn die meisten Männer schliefen noch ihren Rausch aus, und den wenigen Wachen, die mit nachlässig geschulterten Speeren umhergingen, gelang es nur nach und nach, sie durch Fußtritte auf die Beine zu bringen. Viele schlurften mit übernächtigten Gesichtern umher und taten wenig anderes, als erneut die Feuer zu schüren und – ich konnte es kaum glauben – bereits am frühen Morgen die nächsten Metfässer zu öffnen. Schließlich erschien auch Erik, der ein eigenes Zelt bewohnte und von einem jungen Diener geweckt worden war, und setzte sich zu seinen Männern, die irgendein Würfelspiel spielten.
    Die Sonne stieg in den Mittag und zog nach Westen, ohne dass irgendetwas geschah; lediglich verlagerten einige der Männer ihre Sitzplätze, um im Schatten zu bleiben. Das Einzige, was das Altern des Tages anzeigte, waren die immer lauteren Stimmen der Krieger und ihre zunehmende Trinklust. Auch begannen sie zu streiten, mal um den Met, mal im Zuge ihres Spiels, denn Erik schien ein ums andere Mal zu gewinnen. Das Geheimnis seines Glücks enträtselte ich erst, als Hartmann, der in solchen Dingen erfahrener war, mich darauf aufmerksam machte.
    „Der Kerl spielt falsch“, raunte er mir zu. „Sieh genau hin: Er hält einen zusätzlichen Würfel in der linken Hand verborgen, wahrscheinlich einen gezinkten mit mehreren Sechsen.“
    Erik drehte uns den Rücken zu, und tatsächlich konnte ich mit einiger Aufmerksamkeit erkennen, dass er einen Würfel in der gekrümmten Hand verbarg, um ihn immer wieder mit großer Geschicklichkeit gegen einen der anderen auszutauschen. Zwar hatte ich noch nie gespielt, doch wusste ich, worum es beim Würfeln ging, und zweifelte nicht an der Richtigkeit von Hartmanns Verdacht. Wie wichtig diese Beobachtung eines Tages werden sollte,

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