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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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ergriffen und rannte auf den zweiten Krieger zu, wobei ich unwillkürlich einen heiseren Schrei ausstieß. Und ein Wunder geschah: Verunsichert von meinem aberwitzigen Mut hielt der Mann inne, wandte sich zur Flucht und verschwand im Eingang von Niklots mächtigem Wohnhaus.
    Ich warf den Speer fort und rannte zu Hartmann zurück, der sich mühsam aus den Resten seiner Fesseln schälte.
    „Kommt schnell!“, keuchte ich, packte ihn unter der Achsel und zog ihn vorwärts.
    „Warum tust du das?“, murmelte er. „Wie viele Leben soll ich dir noch schulden?“
    Ich antwortete nicht, sondern schleifte ihn verbissen weiter, den Dolch in der freien Hand. Hartmanns gebrochenes Bein jedoch war noch immer steif, und die Nacht in Fesseln hatte seine Glieder betäubt, so dass er bei jedem Schritt einzuknicken drohte. Zugleich vernahm ich Alarmrufe aus dem Hof der Vorburg.
    Wir kamen bis zum Tor, als ein halbes Dutzend wendische Krieger die Rampe heraufstürmte und uns den Weg verstellte. Zugleich hörte ich hastende Schritte im Rücken, fuhr herum und sah weitere Männer mit gezückten Schwertern herandrängen. Aus sechs wurden ein Dutzend, dann zwanzig, und schließlich fanden wir uns von einem Ringwall aus drohend erhobenen Speerspitzen umstellt.
    Ich erkannte, dass mein Plan gescheitert war.
    Keiner der Wenden ging zum Angriff über. Sie verharrten, bis ich schließlich das Einzige tat, was unter diesen Umständen noch sinnvoll erschien: Ich bückte mich und legte den prächtigen Dolch, dessen Griff mit Bernsteinen verziert war, vor mir auf den Boden. Kurz streifte mich der Gedanke, dass ich inzwischen längst außerhalb der Burg und in Sicherheit sein könnte, wenn ich Lana gefolgt wäre. Gleichzeitig jedoch ergriff eine kalte Ruhe von mir Besitz, denn ich verstand, dass es mir nicht möglich gewesen war, anders zu handeln. Ich hatte keine Entscheidung getroffen, vielmehr war ich blindlings den übermächtigen Regungen einer unbewussten Kraft gefolgt. Nun mochte daraus entstehen, was immer mein Schicksal war.
    „Sieh an!“, sagte eine Stimme. „Der junge Sjostje!“
    Ich erkannte Pribislav, der sich soeben durch die Reihen der Krieger drängte und sein Schwert sinken ließ, als er meiner ansichtig wurde.
    „Welch erstaunlicher Mut“, sagte er ruhig, „und welch rührende Treue, zumal für einen Christen. Wer hat dich aus dem Verlies befreit?“
    Ich gab keine Antwort, denn ich war entschlossen, Lana um keinen Preis zu verraten.
    „Sollen wir sie töten, Herr?“, fragte einer der Krieger.
    Pribislav winkte ab. „Legt sie einstweilen in Fesseln. Ich werde meinen Vater rufen.“ Er wandte sich zu der Gruppe, die vom Innenhof die Rampe heraufgekommen war. „Was ist mit den anderen?“
    „Drei sind entkommen“, antwortete einer der Männer. „Die Übrigen haben wir auf halbem Weg aufgegriffen.“
    „Wie sind sie entkommen?“
    „Durch den Ausfalltunnel, Herr.“
    „Durch den Tunnel?“ Diese Nachricht schien Pribislav zu erschrecken. „Habt ihr sie nicht verfolgt?“
    „Sie waren bereits fort“, sagte der Krieger. „Unten am See haben wir niemanden mehr vorgefunden.“
    Pribislav fluchte, wandte sich um und rannte zum Haus seines Vaters.
    Man fesselte uns die Hände und schleifte uns hinunter in den Hof, jedoch nicht zurück zum Verlies, sondern in den Schatten eines der Türme am Tor. Wir mussten uns an die Wand setzen, und ein halbes Dutzend Männer blieb zu unserer Bewachung zurück. Die übrigen eilten zu einer größeren Gruppe, die sich vor dem Eingang des Tunnels versammelt hatte und damit beschäftigt war, ihn mit Sand und Steinen zuzuschütten.
    „Nun werden wir wohl beide sterben“, sagte Hartmann zu mir. „Es wäre mir leichter gefallen, wenn ich gewusst hätte, dass du am Leben bleibst …“ Seine Stimme schwankte ein wenig wie von plötzlicher Rührung. „Trotzdem weiß ich zu schätzen, was du getan hast. Es war nicht sehr klug, aber eines Helden würdig. Wie bist du entkommen?“
    „Lana hat mich befreit“, sagte ich. „Aber der verfluchte Däne war schneller, hat mich niedergeschlagen und sie fortgeschleift.“
    „Erik?“ Hartmann sah mich betroffen an. „Er hat sie entführt?“
    Ich nickte niedergeschlagen.
    „Und du bist ihm nicht gefolgt?“, fragte Hartmann ungläubig. „Du hast stattdessen versucht, mich …?“
    Ich wollte antworten, doch einer der Krieger mahnte uns mit drohend erhobenem Speer zur Ruhe.
    Kurze Zeit später erschien Niklot in Begleitung seiner beiden

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