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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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Söhne und einer Schar ausgewählter Krieger.
    „Ihr seid ebenso verwegen wie schamlos“, sagte Niklot, indem er sich vor uns aufbaute und die Hände in die Seiten stemmte. „Ihr habt nicht nur zu fliehen versucht, sondern auch noch den Tempel entweiht und den heiligen Dolch entwendet, den nur der Priester berühren darf. Ich sollte euch beide oben auf dem Wall vor den Augen eurer Fürsten schlachten lassen!“
    „Tun wir es sofort?“, fragte Pribislav.
    Niklot schien zu überlegen – doch das Todesurteil kam nicht über seine Lippen, denn in diesem Moment beugte sich einer der Männer von der Brustwehr über dem Tor herab.
    „Ein Mann kommt den Torweg herauf!“, rief er.
    Alle blickten erstaunt nach oben.
    „Nur einer?“, fragte Niklot.
    „Ja, ein einzelner Mann ohne Waffen!“, antwortete der Posten.
    „Frage ihn, was er will!“
    Der Posten nickte, beugte sich über die hölzernen Zinnen nach draußen und rief etwas, das wir nicht verstanden. Es schien, dass er eine Antwort erhielt, denn er lauschte längere Zeit und wandte sich schließlich wieder zum Hof herab.
    „Er sagt, er wünsche Euch zu sprechen, Herr! Er bittet darum, eingelassen zu werden.“
    „Wer ist es?“
    „Er sagt, sein Name sei Adolf, Graf von Holstein.“
    Niklot wechselte einen Blick mit seinen Söhnen.
    „Lass ihn nicht ein, Vater!“, warnte Pribislav.
    Niklot besann sich kurz, und sein Blick wurde düster. Schließlich aber rief er zum allseitigen Erstaunen: „Er soll hereinkommen!“
    Das Tor wurde einen Spaltbreit geöffnet, und niemand anderer als Graf Adolf trat ein, in schlichter Kleidung ohne Schwert und Kettenhemd. Sogleich umringten ihn wendische Krieger mit drohend erhobenen Klingen. Er jedoch ließ sich davon nicht beirren, warf einen Rundblick über den Hof, erkannte Niklot und ging langsam auf ihn zu. Als er die Stelle erreicht hatte, wo der Wendenfürst mit seinen Söhnen stand, fiel sein Blick auf Hartmann und mich. Ich bemerkte deutlich, wie er kurz die Augen schloss und flüsterte: „Dem Himmel sei Dank.“
    „Was wollt Ihr, Adolf?“, fragte Niklot ohne Gruß und Vorrede, wie sie sonst bei derartigen Treffen üblich waren.
    Graf Adolf fasste sich und blickte seinem einstigen Verbündeten gerade in die Augen. „Ich bedaure, als Bote Eurer Feinde zu Euch zu kommen“, sagte er. „Von Anfang an habe ich nichts sehnlicher begehrt, als in dieser Angelegenheit Frieden zu stiften. Nun hat sich, wie ich glaube, eine Möglichkeit dazu ergeben.“
    „Sprecht!“, sagte Niklot und verschränkte die Arme.
    „Wie Ihr sicher bemerkt habt, sind heute Nacht einige Eurer Gefangenen entflohen“, sagte Graf Adolf. „Einer von ihnen – ein Sachse namens Walfried – schlug sich bis zu unserem Lager durch und erstattete dem Herzog Bericht. Auf diese Weise erfuhren wir von dem unterirdischen Tunnel, der westlich des Steilhangs an der Seeseite mündet.“
    Niklot erbleichte, als sehe er seine schlimmste Befürchtung bestätigt. „Ich habe den Tunnel zuschütten lassen.“
    „Daran tatet ihr recht“, sagte Graf Adolf ernst. „Der Herzog wollte sofort Truppen ausschicken, um den Tunnel zu suchen und die Festung zu stürmen. Ich konnte ihn nur mit größter Mühe davon abhalten, denn ich wollte um jeden Preis ein Blutbad vermeiden.“
    „Er lügt!“, zischte Pribislav.
    „Ich spreche die Wahrheit“, sagte Graf Adolf ohne jedes Anzeichen von Gekränktheit. „Und es ist auch in Eurem Interesse, edler Pribislav, dass wir zu einer friedlichen Lösung gelangen.“
    Er wandte sich wieder an Niklot, und nun klang seine Stimme ebenso eindringlich wie vertraulich.
    „Niklot“, begann er, „bitte bedenkt Eure Lage! Ich vermute, dass Ihr den Tunnel nicht nur für Ausfälle benutzt habt, sondern auch, um heimlich Versorgungsgüter in die Burg zu bringen. Dieser Weg ist Euch nun versperrt, und das bedeutet, dass Ihr der Belagerung nicht länger standhalten könnt. Binnen kurzem werdet Ihr hungern. Wie ich sehe, habt Ihr Hunderte Frauen und Kinder hier, und mit jedem Tag wird Eure Lage schwieriger. Bislang konnte ich den Herzog davon abhalten, Katapulte oder Brandgeschosse einzusetzen, aber seine Geduld wird bald erschöpft sein. Wenn es zum Äußersten kommt, werdet Ihr ein furchtbares Gemetzel erleben. Siebentausend sächsische Krieger werden von Süden und noch einmal so viele Dänen von Norden auf Euch eindringen, und Ihr werdet nur noch ein paar hundert vom Hunger geschwächte Verteidiger haben. Um Eurer selbst willen

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