Die Tränen der Vila
„Sobald wir fort sind, werden sie das Ganze vergessen und wieder ihre heidnischen Götzen anbeten.“
„Was sollten wir auch anderes erwarten?“, erwiderte der Graf seufzend. „Für die Wenden ist es nur eine Unterwerfungsgeste, deren Sinn sie nicht verstehen.“
Die Massentaufe dauerte noch mehrere Stunden, dann erteilte der Erzbischof der Versammlung den Segen, und wir waren entlassen. Mir war elend zumute, denn im Geist war ich bei Lana draußen in der Wildnis, und noch immer regte sich in mir der Gedanke, ob ich nicht einfach fortlaufen und das Heer verlassen sollte, um nach ihr zu suchen. Als jedoch die Edlen sich zerstreuten, winkte uns Graf Adolf zu sich, der mit Herzog Heinrich beisammenstand.
„Ritter Hartmann!“, begrüßte er meinen Herrn freundlich. „Einst versprach ich Euch eine Belohnung, weil Ihr mein Leben gerettet habt. Zudem wurdet Ihr in diesem Krieg verwundet, und Euer steifes Bein wird es Euch schwermachen, auch künftig Euren Lebensunterhalt als fahrender Ritter zu bestreiten.“ Er machte eine Pause und versicherte sich mit einem Seitenblick, dass der Herzog zuhörte. „Leider verfüge ich derzeit nicht über freie Lehen, was mich in ehrliche Verlegenheit stürzt.“
Herzog Heinrich hatte eine Augenbraue hochgezogen. Offenbar verstand er den Wink seines bevorzugten Beraters.
„Also gut“, sagte er. „Euch zuliebe, Adolf, werde ich diese Verpflichtung einlösen.“ Er wandte sich an Hartmann. „Würdet Ihr auch mit einem Dienstlehen vorliebnehmen?“
Hartmann starrte ihn an, als traue er seinen Ohren nicht.
„Selbstverständlich, Eure herzogliche Hoheit“, beeilte er sich zu versichern.
„Ich besitze ein kleines Gut namens Reppenstede, westlich von Lüneburg“, fuhr der Herzog fort. „Ich selbst war noch niemals dort – aber der Verwalter, einer meiner Dienstleute, ist kürzlich gestorben. Es ist nur ein bescheidenes Gut und würde Euch nicht eben ein fürstliches Leben, aber doch ein Auskommen gewähren.“
„Das ist überaus großzügig von Euch“, stammelte Hartmann überwältigt.
„Versteht mich recht: Es handelt sich nicht um ein Erblehen“, versetzte der Herzog. „Ihr müsstet also Euren adligen Stand aufgeben und mein Dienstmann werden, was unter anderem bedeuten würde, dass Ihr bei den Bauern die Steuer einzutreiben habt und zur ständigen Anwesenheit auf Eurem Gut verpflichtet seid.“
„Ich verstehe vollkommen, Herr“, sagte Hartmann eilfertig. „Würdet Ihr mir gestatten, meinen Knappen als Verwalter einzusetzen? Er besitzt erhebliche Geistesgaben und könnte gewiss leicht das Schreiben und Rechnen lernen, um mich bei der Buchhaltung zu unterstützen.“
„Wenn Ihr Eure Einkünfte mit dem Jungen teilen wollt – mir soll es recht sein. Kommt zu mir, wenn wir zurück in Lüneburg sind. Dort werde ich Euch den Diensteid abnehmen und alles Weitere regeln.“
Und mit dieser recht unförmlichen Gutsverleihung, die mir eher wie ein Geschäft auf dem Dorfmarkt vorkam, wandte der Herzog sich zum Gehen. Graf Adolf lächelte zufrieden, als er außer Hörweite war.
„Ich danke Euch, Eure gräfliche Gnaden“, sagte Hartmann überschwenglich, als müsse er sich beherrschen, ihm nicht um den Hals zu fallen.
„Dankt mir nicht!“, winkte der Graf ab. „Es könnte ein schweres Los sein, als Heinrichs Dienstmann zu leben, denn er ist ein junger Löwe und wird sich noch manche Feinde in der Welt machen. Ich hoffe nur, dass er Euch aus Rücksicht auf Euer Alter und Eure Verwundung nicht mehr zum Waffendienst heranziehen wird. Andererseits ist es natürlich ein Glück, einen so mächtigen Schutzherrn zu haben. Ich wünsche Euch, dass Ihr in seinem Dienst einen angenehmen und ehrenvollen Lebensabend haben mögt.“ Er wandte sich mir zu. „Und Ihr, Jungherr? Seid auch Ihr glücklich über diese Entwicklung der Dinge?“
Ich zögerte, obwohl Hartmann mir über die Schulter des Grafen deutliche Zeichen machte, nur ja meine Dankbarkeit auszudrücken. Graf Adolf sah mich eindringlich an – und plötzlich wurde mir bewusst, dass der junge Edelmann kaum älter als ich selbst war und mich womöglich besser verstand, als ich glaubte.
„Euer Herr hat mir bisher nicht verraten, was Euch widerfahren ist, als Ihr verschollen wart“, sagte er. „Eure Miene jedoch, Odo, lässt mich erraten, dass Ihr nicht allzu begierig seid, nach Sachsen zurückzukehren. Gewiss ist es kein Zufall, dass Ihr die wendische Sprache gelernt habt. Ich ahne, dass Ihr etwas gefunden
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