Die Tränen der Vila
mein Herr nach Standesgenossen, denn als wir uns mühsam in Richtung der Berittenen drängten, konnte ich erkennen, dass die meisten von ihnen langes Haar und Schwerter am Gürtel trugen. Angeführt wurden sie von einem kleinen, rundlichen Mann, der durch besonders stattliche Kleidung auffiel. Unter seinem Kettenhemd ragten bestickte Ärmel aus himmelblauem Tuch hervor, und um die Schultern trug er ein rechteckiges Wolltuch mit einer silbernen Spange.
Hartmann hielt geradewegs auf ihn zu, brachte sein Pferd zum Stehen und neigte demütig den Kopf, da er unzweifelhaft einem Vertreter des Hochadels gegenüberstand.
„Gott zum Gruß, Herr.“
Der Angesprochene hatte ihn eben erst bemerkt, da er ungeduldig nach der Fähre Ausschau gehalten hatte. Nun wandte er sich Hartmann zu und offenbarte ein rundes, freundliches Gesicht mit rosigen Wangen.
„Gott zum Gruß!“, erwiderte er mit heller Stimme. „Sucht Ihr den Weg zum Heerlager? Dann seid Ihr hier richtig. Allerdings müsst Ihr geduldig sein, denn die Fähre ist nicht allzu schnell, und mehr als dreißig Mann können nicht auf einmal übersetzen.“ Er blickte Hartmann aufmerksam ins Gesicht. „Kenne ich Euch, Ritter?“
„Nein, Herr“, antwortete Hartmann. „Ich bin Hartmann von Aslingen, aus Franken. Und dieser junge Mann ist mein Knappe.“
Der korpulente Edle nickte freundlich. „Ich bin Poppo, Graf von Blankenburg.“
Ich konnte nicht verhindern, dass mein Mund sich vor Staunen öffnete. Dies also war der Graf von Blankenburg – der Herr jenes Landes, in dem ich aufgewachsen war. Ich hatte ihn vorher nie zu Gesicht bekommen, doch angesichts seines Verwalters, des unbarmherzigen Thiedericus, hatte ich ihn mir strenger und unnahbarer vorgestellt.
„Die Fähre kommt!“, rief plötzlich einer der Männer, und aller Augen richteten sich zum Fluss. Tatsächlich näherte sich soeben das hölzerne Floß, das von mehreren Knechten mit langen Stangen vorwärtsgetrieben wurde.
„Endlich“, sagte der Graf von Blankenburg. „Ich dachte schon, wir müssten hier Wurzeln schlagen. Wollt Ihr uns begleiten, Ritter Hartmann?“
Mein Herr neigte dankbar den Kopf. Als die Fähre angelegt hatte, schlossen wir uns den Rittern des Grafen an, so dass sich schließlich fünfzehn Männer zu Pferd auf dem Floss drängten. Die Knechte hatten alle Mühe, das schwer beladene Gefährt wieder vom Steg abzustoßen und durch die Strömung zu staken. Drüben angekommen, ritten wir durch seichtes Wasser auf eine Straße, die in einer tiefen Schlucht das Steilufer durchstieß. Der Weg bog nach rechts und begann anzusteigen, bis er auf eine hochgelegene Ebene führte, die von unzähligen Zelten bedeckt war. Ich sah Männer, die an Lagerfeuern saßen, Knechte, die Pferde führten oder Waffen schliffen, Priester in dunklen Kutten und Gerüstete in Kettenhemden. Der Graf von Blankenburg führte seine Männer quer durch das Lager, und wir folgten ihm auf einen schmalen Dammweg, der zur Burg führte. Als wir das Tor durchquerten, gelangten wir auf einen freien Platz, der von mehreren Gebäuden umgeben war: einem hohen Turm, einem Wohnhaus, mehreren Stallungen und einer kleinen Kapelle.
Der offene Platz in der Mitte der Burg war voller Menschen. Unter freiem Himmel war ein langer Tisch aufgestellt worden, umstanden von Männern in prachtvollen Gewändern, ohne Zweifel den Edelsten des Heeres. Einige saßen auf Holzschemeln, darunter ein älterer Herr von gebrechlichem Äußeren, der nach seiner Tracht zu schließen ein Bischof sein musste. Mehrere der Männer hatten sich über ein rechteckiges Stück Rindsleder gebeugt, das auf dem Tisch ausgebreitet lag und mit Buchstaben und anderen seltsamen Zeichen bedeckt war. Wie ich später verstand, handelte es sich um eine Landkarte.
Als der Graf von Blankenburg mit seinem Gefolge hereinritt, sprangen sogleich Knechte herbei, um ihm vom Pferd zu helfen. Auch seine Ritter saßen ab, und Hartmann und ich folgten ihrem Beispiel. Die Männer am Tisch blickten sich nach den Ankömmlingen um, und einer von ihnen, der ein purpurfarbenes Gewand trug, kam dem Grafen entgegen.
„Gott zum Gruß, Eure herzogliche Hoheit!“, sagte Poppo von Blankenburg und sank auf die Knie, was ihm angesichts seiner Leibesfülle einige Schwierigkeiten bereitete.
„Poppo! Ich grüße Euch“, sagte der Angesprochene. Er wartete, bis sein Gegenüber sich erhoben hatte, trat dann auf ihn zu und tauschte den Friedenskuss mit ihm. „Ich freue mich, dass Ihr da seid.
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