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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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nennen – Lübeck in unserer Sprache. Mein Vater, der zu jener Zeit die Grafschaft Holstein beherrschte, lebte in gutem Einvernehmen mit ihm. Am Ende jedoch teilte der Fürst von Lübeck das Schicksal aller wendischen Edlen, die zum Verdruss ihres Volkes das Christentum annahmen: Er wurde ermordet; niemand weiß, von wem – und dasselbe geschah später auch seinem Sohn.“
    Die Umsitzenden lauschten gebannt.
    „Was ist seitdem geschehen?“, fragte Konrad von Zähringen.
    „Etwa zur selben Zeit“, fuhr Graf Adolf fort, „führte unser Kaiser Lothar ein Heer tief ins Wendenland, eroberte viele Burgen und zerstörte wendische Heiligtümer. Doch auch seinen Bemühungen war kein dauerhafter Erfolg beschieden, denn nach seinem Abzug kehrten die Wenden zu ihrem Götzendienst zurück und zahlten auch keinen Tribut mehr. Später gab Lothar das Wendenland dem dänischen Prinzen Knud zu Lehen, wofür dieser, wie ich gehört habe, eine stattliche Geldsumme zahlte. Tatsächlich gelang es Knud, einen Teil des Landes zu erobern, doch auch er starb vor der Zeit, denn sein Onkel stritt mit ihm um die Herrschaft in Dänemark und ließ ihn ermorden. Es scheint, dass niemandem, der die Wenden beherrschen will, ein langes Leben gegönnt ist“, schloss Graf Adolf nachdenklich. „Es ist fast, als läge ein Fluch über ihrem Land, der jedem Eroberer Verderben bringt.“
    „Das ist die Macht des Teufels!“, ließ sich plötzlich der greise Erzbischof mit erstaunlich kräftiger Stimme vernehmen. „Die Wenden verehren dämonische Mächte, und es ist der Satan selbst, der sie zum Widerstand aufreizt. Doch unser Herr Jesus Christus ist stärker als der Teufel und wird uns zum Sieg über die Wenden führen, sofern“, und bei diesen Worten blickte er nicht nur den Grafen, sondern auch Herzog Heinrich drohend an, „sofern alle Teilnehmer dieses Kreuzzugs beharrlich im Glauben und dem Willen unserer heiligen Kirche gehorsam sind.“
    Eine respektvolle Stille trat ein, bevor Konrad, der Herzog von Zähringen, das Wort ergriff und sich an Graf Adolf wandte.
    „Wer ist zurzeit der Anführer der Wenden?“
    „Ein Fürst mit Namen Niklot“, antwortete der Graf. „Seine Residenz ist eine Burg im Osten, die von den Wenden Viligard genannt wird. Da er mein nächster Nachbar ist, habe ich schon vor Jahren ein Abkommen mit ihm getroffen, um die Siedlungen meiner Untertanen vor wendischen Angriffen zu schützen. Ich versprach ihm, Frieden mit seinem Volk zu halten, und im Gegenzug duldete er, dass wir christliche Bauern im Grenzland zwischen Lübeck und Racesburg angesiedelt haben.“
    „Ihr wisst sehr wohl, Graf Adolf, dass die Kirche dieses Abkommen missbilligt!“, sagte der Erzbischof scharf. „Sie duldet nicht, dass Christen und Heiden irgendwelche Verträge miteinander schließen, schon gar nicht zum Zweck der gegenseitigen Duldung. Bedenkt, was Gott zum Volk Israel sprach, als es vom Lande Kanaan Besitz ergriff: Der Herr wird ausrotten die Völker vor euch her, und ihr sollt keinen Bund mit ihnen schließen und keine Gnade gegen sie üben, denn sie werden eure Söhne abtrünnig machen, dass sie anderen Göttern dienen, und so wird der Zorn des Herrn entbrennen über euch. “
    Es dauerte einen Moment, bis Graf Adolf antwortete. Während der Rede des Alten war er mit gesenkten Augen stehen geblieben wie ein Diener, der von seinem Herrn gescholten wird. Dann aber wechselte er einen Blick mit dem Herzog und ermannte sich zur Widerrede.
    „Hochwürdigste Exzellenz“, begann er. „Ich bitte zu bedenken, dass zwar die Bewahrung und Verbreitung des Glaubens von allerhöchster Wichtigkeit, aber auch der Landfriede ein bedeutendes Gut ist.“
    „Die Verbreitung des wahren Glaubens ist ein höheres Gut als der Friede!“, versetzte der Erzbischof, während die Geistlichen in seinem Umkreis zustimmend murmelten.
    Graf Adolf wartete, bis das Getuschel sich gelegt hatte, dann setzte er zu einer erneuten Erwiderung an, wobei er sichtlich jedes Wort sorgsam wählte. Offenbar war ihm sehr daran gelegen, gegenüber dem Kirchenfürsten, der in einem viel höheren Rang stand und ihn wie ein strenger Lehrer musterte, nicht respektlos zu erscheinen.
    „Ich möchte zu meiner Rechtfertigung und auch zum Bedenken durch Eure erzbischöfliche Gnaden vorbringen“, sagte er, „dass die Bekehrung der Wenden selbst durch wiederholte Feldzüge in ihr Land keine nennenswerten Fortschritte gemacht hat. Ihre Kriegsmacht ist gering, doch sind sie beharrlich in

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