Die Tränen der Vila
Hinterzimmer der Schenke zuzuschreiben.
Erneut – ich gestehe es offen – haderte ich mit der göttlichen Gerechtigkeit. Dieser Mann sprach über die heiligsten Dinge in einer Weise, die an Lästerung grenzte; er trank unmäßig Wein, er trieb Unzucht mit einer Hure. Ich dagegen hatte einen beschwerlichen Weg zum Kloster zurückgelegt, um einem mürrischen alten Mönch die Verfehlungen meines Lebens zu beichten, fühlte mich jedoch nicht im Mindesten befriedigt. Lange noch lag ich wach, während Hartmann bereits schnarchte. War dies die Gerechtigkeit des Himmels, dass der reulose Sünder friedlich schlummerte, während der bußfertige sich unruhig auf seinem Lager wälzte?
Ich kam zu keinem Schluss, und als ich endlich einschlief, bestand mein letzter Gedanke darin, auf einen Traum zu hoffen, durch welchen Gott mir die Richtigkeit meines Handelns bestätigte. Doch ich träumte nicht vom Kloster, nicht von dem alten Mönch, nicht von Vergebung oder ewiger Seligkeit – ich träumte von der Tochter des Sarrockmachers, dem Mädchen mit den großen blauen Augen.
Vom Heerlager Herzog Heinrichs
Als ich am folgenden Morgen erwachte, hatte Hartmann bereits das Pferd beladen und stand mit Messer und Spiegel in der Hand da, um nach süddeutscher Sitte seinen Bart zu stutzen.
„Aufstehen!“, rief er gut gelaunt. „Die Sonne ist schon aufgegangen, und ich will noch heute zur Ertheneburg gelangen. Lass uns rasch in die Stadt gehen und deine Kleider abholen.“
So machten wir uns zum zweiten Mal auf den Weg in die Stadt und suchten den Sarrockmacher auf.
„Kommt nur herein, edle Herren; es ist alles fertig!“, sagte der Mann und bat uns wie am Vortag in seine Werkstatt. Dort lagen bereits das Gewand, ein Gürtel und die Bundhaube bereit. Hartmann musste mir helfen, die Kleidungsstücke anzulegen, da es dem Handwerker nicht gebührte, einen Mann von vermeintlich höherem Stand zu berühren. Ich ließ es geschehen und zollte meiner neuen Gewandung kaum Aufmerksamkeit. Stattdessen spähte ich zur Tür des Nachbarzimmers, die offen stand, nach irgendeinem Zeichen von dem Mädchen.
„Ist alles zu Eurer Zufriedenheit, Herr?“, fragte der Handwerker, und ich musste mich einen Moment darauf besinnen, dass die Frage mir galt. Zerstreut nickte ich.
„Gute Arbeit“, stimmte Hartmann zu, der mich von Kopf bis Fuß musterte, während der Sarrockmacher strahlte.
Wir verließen das Haus bald, denn Hartmann drängte zum Aufbruch, so dass ich keine Gelegenheit mehr hatte, auf das Erscheinen des Mädchens zu hoffen – und ich möchte es vorwegnehmen: Tatsächlich sah ich sie niemals wieder.
Wir ließen Lüneburg hinter uns und zogen am Flussufer nach Norden. Unterwegs hielt der Ritter einen Mann an, der uns mit einem heubeladenen Pferdefuhrwerk entgegenkam. Der Bauer erwiderte zunächst nur mürrisch seinen Gruß. Als Hartmann jedoch den Geldbeutel zog, merkte er auf und brachte augenblicklich seine Zugtiere zum Stehen.
„Ich bin auf dem Weg zum Kreuzzug im Norden“, sagte Hartmann, „und mein Knappe braucht ein Pferd.“
Vielleicht hatte er gehofft, der Bauer würde mit Rücksicht auf den frommen Zweck einen besonders günstigen Preis nennen; stattdessen jedoch verzog er den Mund.
„Ich habe nur diese beiden Pferde, Herr“, sagte er, „und wenn ich eines fortgebe, wie sollte das andere allein meinen Wagen ziehen?“
„Dein Schimmel wird ohnehin kein langes Leben mehr haben!“, behauptete Hartmann. Er saß ab, ging zu einem der Zugpferde hinüber und prüfte umständlich dessen Nüstern, Augen und Zähne. „Er ist krank und wird bald sterben.“
Der Bauer musterte das Tier besorgt. „Seid Ihr sicher, Herr?“
„Ich kenne mich mit Pferden aus“, versetzte Hartmann. „Dieses hier wirst du in zwei oder drei Monaten zum Abdecker schaffen müssen – der dir, wenn er großzügig ist, fünf Pfennige dafür geben wird. Ich biete dir das Vierfache, wenn du ihn mir überlässt.“
Ich erspare es mir, den weiteren Verlauf dieses Handels zu schildern. Am Ende bekamen wir den Schimmel für einen Spottpreis, während der Bauer das vermeintlich kranke Pferd ausschirrte und das andere mit großer Mühe dazu brachte, den schweren Wagen allein zu ziehen.
Ich wartete, bis er außer Hörweite war, dann fragte ich, obwohl ich die Antwort bereits ahnte: „Ist das Pferd wirklich krank?“
Hartmann lachte. „So gesund wie du und ich, und mit Sicherheit klüger als sein Besitzer. Natürlich ist es nicht gerade ein
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