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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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wie seine dunklen Brauen unter der Kettenhaube sich forschend zusammenzogen. Vielleicht war mein Betragen ungebührlich, doch irgendetwas in meinem Gesicht schien ihn zu bewegen, meine Worte nicht als Äußerung eines ängstlichen Jungen abzutun. Er zog sein Schwert, reckte sich im Sattel und blickte wachsam umher.
    Im nächsten Moment hob ein mächtiges Geschrei vieler Stimmen an. Das Unterholz raschelte und knisterte, Füße stampften, Zweige brachen – und dann kamen Speere aus der Dunkelheit herangeflogen.
    Ohne mich der Sünde des Hochmuts schuldig zu machen, darf ich wohl behaupten, dass meine Warnung das eine oder andere Leben rettete. Die Ritter nämlich hatten ihre Waffen gepackt, einen dichten Haufen gebildet und die Gesichter nach außen gewandt, so dass das Unheil weniger überraschend kam, als der Feind geplant haben mochte. Dennoch fanden zwei Speere ihr Ziel, und einer der Ritter sank aus dem Sattel, während das Pferd eines anderen, in die Flanke getroffen, sich mit einem entsetzten Wiehern aufbäumte. Einen Atemzug später brachen Dutzende dunkler Gestalten aus dem Wald, zur Rechten wie zur Linken und sogar von hinten, um uns den Rückweg abzuschneiden. Dolche und Axtklingen blitzten im Dämmerlicht auf. Es war ein unbeschreibliches Getümmel: Männerstimmen brüllten und schrien, Waffen krachten und klirrten, Pferde scheuten und schnaubten.
    Mir sprang das Herz in die Kehle, und ich besaß eben noch genug Geistesgegenwart, um meinen Dolch zu ziehen, als eine schattenhafte Gestalt auf mich zusprang. Dies hätte mein Ende sein können – doch plötzlich zeigte meine treue Schimmelstute, was in ihr steckte: Schnaubend bäumte sie sich auf und warf die Hufe gegen den Angreifer. Ich begriff kaum, was geschah, da ich alle Mühe hatte, mich im Sattel zu halten, doch ich hörte Holz splittern und den dumpfen Aufschrei eines Mannes, der rücklings ins Gras geschleudert wurde.
    Sofort näherten sich weitere Schatten von rechts – doch diesmal war Ritter Hartmann zur Stelle und warf sich mit einem heiseren Schrei zwischen mich und die Angreifer. Einen hieb er mit zielsicherem Schwertstreich nieder, einen anderen brachte er mit dem Stoß seines Schildes zu Fall, und zwei weitere flohen vor ihm. All dies ging so schnell, dass ich kaum mehr tun konnte, als meinen Schimmel zu bändigen und mich aus der Reichweite seiner Schläge zu halten.
    „Rückzug!“, hörte ich Graf Adolf rufen.
    Dem Befehl gemäß drängten sich die Ritter zu einem Haufen, wandten ihre Pferde nach Westen und hieben sich den Rückweg frei. Selbst jene, die ihre Pferde verloren hatten, fochten unbeirrt und schlugen zahlreiche Angreifer zu Boden. Schon kam der Angriff der Wenden zum Stehen, und einige flohen. Die Reiter aber brachen durch und trieben ihre Pferde zum Waldrand zurück. Mein kleiner Schimmel schloss sich ihnen an, wenngleich er zurückfiel, da er bei weitem nicht so schnell laufen konnte wie die Schlachtrösser der Holsteiner. Hartmann zügelte seinen Braunen und hielt sich mit erhobenem Schwert an meiner linken Seite. Zur Rechten fand sich Graf Adolf ein, außer Atem, doch anscheinend unverletzt und mit blutigem Schwert.
    „Gott segne dich, Jungherr“, keuchte er, und trotz Furcht und Schrecken fühlte ich einen gewissen Stolz, denn ich verstand, dass seine Worte meiner Vorahnung galten.
    Im selben Moment flog ein Speer aus der Dunkelheit zwischen den Bäumen hervor und traf das Pferd des Grafen in die Brust. Es bäumte sich auf, stand einen Augenblick lang mit rudernden Hufen auf den Hinterbeinen und schlug schließlich seitwärts um. Der Reiter wurde aus dem Sattel geschleudert, verlor sein Schwert und landete bäuchlings im Gras. Sogleich brachen mehrere Männer mit Äxten aus dem Unterholz und rannten unter triumphierendem Gebrüll auf den Wehrlosen zu. Dies hätte sein Ende sein können, denn die Ritter waren bereits ein gutes Stück voraus, und niemand war mehr in der Nähe außer mir und meinem Herrn.
    Hartmann reagierte sofort, und erneut staunte ich über seine Kühnheit. Obwohl die Angreifer uns vierfach überlegen waren, riss er ungestüm sein Pferd herum, hob das Schwert und sprengte ihnen entgegen, wobei er noch lauter schrie als seine Gegner. Bei diesem Anblick packte auch mich eine unbändige Wut, und ich setzte ihm nach, reckte den Dolch und empfand keinerlei Furcht mehr.
    Graf Adolf hatte sich eben erhoben, aber das schwere Kettenhemd behinderte ihn, und während er sich nach seinem Schwert umsah,

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