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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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der Herzog.
    „Er sagt, es seien fünf Tagesreisen bis zur Burg“, erwiderte Graf Adolf. „Vielleicht übertreibt er die Entfernung, um uns irrezuführen – den Weg dorthin jedenfalls kann oder will er uns nicht zeigen. Er behauptet, es gebe keinen sicheren Weg durch diesen Wald.“
    „Dann ist er für uns nutzlos“, beschied Herzog Heinrich knapp und zog sein Schwert. „Fragt ihn, ob er bereit ist, den christlichen Glauben anzunehmen.“
    Der Wende hatte sich beim Anblick der nackten Klinge furchtsam niedergekauert und den Kopf gesenkt. Als ihn Graf Adolf erneut ansprach, lauschte er beinahe ungläubig, blickte zu ihm auf und hob abwehrend die Hände. Dabei umklammerte er ein hölzernes Amulett, das an einer Kordel um seinen Hals hing.
    „Das ist Antwort genug“, sagte der Herzog. „Seht, er sucht Schutz bei seinen Götzen.“
    Er hob das Schwert und setzte die Spitze an die Kehle des jungen Mannes. Als er zustieß, senkte ich den Blick, kniff die Augen zusammen und hätte am liebsten auch noch meine Ohren gegen das entsetzliche Röcheln verschlossen. Es war seltsam, doch der Tod des Jungen ging mir näher als das vorausgegangene Handgemenge, in dem drei der Unsrigen und fast zwei Dutzend Feinde ihr Leben gelassen hatten.
    Herzog Heinrich ließ sein Schwert in die Scheide zurückgleiten, wandte sich um und schritt zu seinem Schlachtross. „Kommt! Wir reiten zurück.“
    Der Mond stand bereits hoch, als wir im Lager eintrafen, das in sicherer Entfernung vom Waldrand aufgeschlagen worden war. Der Herzog gab Anweisung, die drei getöteten Ritter den Priestern zu übergeben, die sie für das Begräbnis herrichten sollten. Dann beriet er sich noch längere Zeit mit Graf Adolf und beschloss endlich, am folgenden Tag in die entgegengesetzte Richtung zu ziehen und den Wald im Süden zu umgehen.
    Nachdem der Herzog sich verabschiedet hatte, winkte der Graf Hartmann und mich zu sich und lud uns ein, für diesen Abend seine Gäste zu sein. Hartmann dankte ihm hocherfreut, und so gingen wir zu einem Zelt, vor dessen offenem Eingang ein Feuer brannte. Knechte brachten hölzerne Schemel herbei, außerdem Brot, Räucherfleisch und schließlich sogar einen Krug mit Wein. Der Graf trank wenig, und auch ich hielt mich zurück, so dass es Hartmann war, der den größten Teil des Krugs leerte.
    „Ich stehe in Eurer Schuld“, sagte Graf Adolf zu meinem Herrn. „Ich weiß nicht, ob ich ohne Euer Eingreifen noch am Leben wäre, denn ich bin nicht sicher, dass die anderen Ritter so tapfer gehandelt hätten wie Ihr.“
    „Aber es sind doch Eure eigenen Männer!“, sagte Hartmann erstaunt. „Und an Mut fehlt es ihnen gewiss nicht, nach allem, was ich heute gesehen habe.“
    „An Mut nicht“, räumte Graf Adolf ein, „aber, wie ich befürchte, an Treue zu ihrem Herrn. Die Holsteiner sind ein uralter und stolzer Stamm, und die Overboden, ihre Ältesten, lieben mich nicht gerade.“
    „Das kann ich mir kaum vorstellen“, sagte Hartmann, wobei mir schien, dass er seine Entrüstung in schmeichlerischer Absicht ein wenig übertrieb. „Ein so frommer und gebildeter Mann wie Ihr …“
    Der Graf winkte ab. „Eben das ist einer der Gründe. Eigentlich bin ich kein Mann des Krieges, und die Grafschaft habe ich nur geerbt, weil mein Bruder frühzeitig starb. Ich habe die heiligen Schriften studiert, Latein und Geschichte gelernt und mich auf ein Leben als Mönch vorbereitet. Für die Holsteiner aber zählt nur die Kraft im Kampf, und sie gebrauchen lieber das Schwert als den Geist. Manche von ihnen behaupten, ich hätte das Herz eines Weibes. Zudem haben sie es Kaiser Lothar nicht verziehen, dass er ihre Heimat meinem Vater zu Lehen gab, denn er war ein Landesfremder.“
    „Nun“, sagte Hartmann mit einem feinen Lächeln. „Wenn Ihr Eure Besitzungen künftig an treuere Vasallen vergeben wollt – ich meine, an solche, die Euch die gebührende Hochschätzung erweisen ...“
    Der Graf forschte einen Moment in seinem Gesicht und erwiderte schließlich sein Lächeln.
    „Ich verstehe, was Ihr meint“, sagte er. „Doch in dieser Beziehung, so fürchte ich, kann ich Euch wenig Hoffnung machen. Die Overboden werden keine ausländischen Edelherren auf meinen Gütern dulden, und glaubt mir: Auch für Euch wäre es kein angenehmer Dienst, täglich gegen ihren Widerstand anzukämpfen. Abgesehen davon, ist mein Land nicht groß, und derzeit habe ich nichts zu vergeben.“
    „Das könnte sich ja im Verlauf dieses Kriegszugs ändern“,

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