Die Tränen der Vila
bemerkte Hartmann recht offenherzig.
„Damit rechne ich nicht“, sagte der Graf seufzend. „Wenn wir dieses Land erobern, wird es Herzog Heinrich gehören – und noch bin ich keineswegs sicher, dass es uns gelingen wird. Aber ich will gern versuchen, mich nach dem Ende des Krieges beim Herzog für Euch zu verwenden.“
Hartmann dankte ihm überschwenglich, doch der Graf wehrte ab – wahrscheinlich, um keine übertriebenen Hoffnungen zu wecken – und beendete das Gespräch mit der Begründung, er sei müde und brauche Ruhe. Während ein Diener ihm half, seine Rüstung abzulegen, entließ er uns mit Gottes Segen und besten Wünschen für eine gute Nacht.
Da wir uns bereits in jenem Teil des Lagers aufhielten, wo die Zelte der Edlen standen, nutzte Hartmann die Gelegenheit und ließ sich in unmittelbarer Nähe nieder. Das war höchst angenehm, denn statt des beständig zechenden Fußvolks hatten wir nun andere Ritter zu Nachbarn, die allein oder in Gruppen an ihren Lagerfeuern saßen. Unsere Pferde banden wir kurzerhand an die Stangen eines nahen Zelts und betteten uns unter klarem Sternenhimmel zur Nacht.
„Ein guter Anfang“, sagte Hartmann, als er wie üblich rücklings auf seiner Matte lag, die Hände im Nacken verschränkt. „Der Graf schuldet mir einen Gefallen, und er wird es nicht vergessen. Und, nebenbei bemerkt, habe ich lange nicht mehr so gut gespeist wie heute.“
Ich schwieg und dachte bei mir, dass Brot und Fleisch eigentlich kaum besser gewesen waren als unsere eigenen Vorräte und dass sich mein Herr wohl eher auf die reichliche Menge unverdünnten Weins bezog.
„Und ein guter Anfang auch für dich!“, sagte Hartmann. „In Anbetracht der Tatsache, dass du ein Bauernsohn bist, einen Ackergaul reitest und über keinerlei Kampferfahrung verfügst, hast du dich gut geschlagen. Im Übrigen: Woher hast du gewusst, dass es eine Falle war?“
Ich erschrak. Natürlich wollte ich nicht verraten, dass die Situation mich an eine andere Falle erinnert hatte, die einst von Straßenräubern gelegt worden war.
„Ich weiß nicht, Herr“, antwortete ich unbestimmt. „Ich dachte einfach, wenn man Bäume fällt, dann tut man das doch gewöhnlich am Waldrand, aber nicht in Form einer Bresche, die quer durch den Wald verläuft. Das erschien mir verdächtig.“
Hartmann zwinkerte mir zu. „Du bist ein kluger Junge, das bemerke ich nicht zum ersten Mal. Im Grunde bist du dem Grafen recht ähnlich: kein Mann des Krieges, sondern des Geistes. Es würde mich nicht wundern, wenn du eines Tages Lesen und Schreiben lernst – dann könntest du zum Beispiel ein tüchtiger Verwalter werden.“ Er grinste. „Ein Ritter, der ein kleines Landgut hat, braucht immer einen guten Verwalter, der seine Bücher führt.“
Ich schwieg. Einerseits freute ich mich über das Lob, andererseits war ich mir nicht sicher, ob die Aussicht, die mein Herr mit diesen Worten eröffnete, mir wirklich gefiel. Unwillkürlich dachte ich an Thiedericus, den Verwalter meines Heimatdorfes. War es ein erstrebenswertes Ziel, für einen adligen Herrn die Abgaben einzuziehen – womöglich bei armen Bauern, denen es nicht besser erging als seinerzeit meinem Vater?
Falls Hartmann durch mein Schweigen gekränkt war, ließ er es sich nicht anmerken, jedenfalls hörte ich ihn schon kurz darauf zufrieden schnarchen. Auch ich ließ mich ins Gras sinken und schlief tief und fest bis zum Morgen.
Von der Feste Dobin
Von den folgenden Tagen kann ich in gedrängter Kürze berichten, denn es ereignete sich nichts von ähnlicher Bedeutung wie der Überfall im Wald. Tatsächlich schienen unsere Feinde sich zurückgezogen zu haben, wenngleich anzunehmen war, dass sie unseren Zug durch Späher beobachteten. Gemäß der Entscheidung des Herzogs umgingen wir den Wald im Süden und wanderten einen ganzen Tag, bis wir auf eine offene Moorlandschaft stießen. Hier war der Weg zwar frei, der Boden jedoch weich und nass, so dass Feldgänger vorausgesandt werden mussten, um seine Tragfähigkeit zu prüfen. Zu allem Unglück setzte anhaltender Regen ein, der den Boden aufweichte und verschlammte. Hartmann und ich waren froh, als wir zur Nacht einen Platz unter einem Baum fanden und unsere durchnässten Kleider am Lagerfeuer trocknen konnten.
Inzwischen waren die Nahrungsmittel im Heer knapp geworden, und viele, die ohne Vorräte aufgebrochen waren, litten Hunger. Längst aß man Wildfrüchte, Wurzeln und sogar Blätter; an Tieren erlegte man Rehe und Hasen,
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