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Die Traenen Des Drachen

Titel: Die Traenen Des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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all seine Taschen.
    »Hm!«, sagte er zu sich selbst und hielt einen Knochenhammer hoch. Er klopfte ihm auf die Stirn, und der Gamle sagte wieder »Au!«. Sie waren seine Aufschreie jetzt gewohnt, und der Gamle fragte sich im Stillen, was er sonst noch sagen konnte, das wirklich dem Schmerz, den er verspürte, gerecht wurde. Volom-Kar klopfte ihm auf Knie und Ellenbogen, und als ihm das keine Antwort gab, legte er sein Ohr auf den Bauch des Gamle und lauschte.
    »Ich hab’s«, sagte er nach einer Weile. »Ich kann dort drinnen Jagdhörner und Kriegsgeschrei hören, und Armeen, die in den Kampf ziehen.«
    Er presste sein Ohr noch etwas tiefer auf Gamles Bauch.
    »Irgendwo schnattert ein Waldteufel, und ich glaube, ich kann auch einen Troll brüllen hören.«
    Er richtete sich auf und bürstete sich den Schnee von den Knien.
    »Uff!«, sagte der Gamle, erleichtert darüber, dass die Untersuchung beendet war.
    »Ich kenne die Antwort«, erklärte Volom-Kar feierlich. Er deutete mit seinem Knochenhammer auf den Gamle. »Unser verehrter Häuptling hat sich den Magen verdorben.«
    »Jaa…«, stöhnte der Gamle, denn das hatte er ja die ganze Zeit über gewusst. Doch jetzt sah er, dass die Waldgeister von ihm weggingen. Nur Bul blieb da, während sich die anderen am Waldrand versammelten und beratschlagten. So ist das mit den Waldgeistern – wenn sie etwas Wichtiges zu besprechen haben, dann tun sie das gerne bei einem Baum. Sie glauben, dass ihnen die Bäume helfen und sie auf die richtigen Ideen bringen. Und Volom-Kar wusste zu berichten, dass das hier eine wirklich schwierige Sache war.
    »Der Gamle hat sich schrecklich überfressen«, sagte er und lehnte sich mit einer Hand an den Baumstamm. »Und damit nicht genug; er hat zu viele Pilze gegessen.«
    Als die Waldgeister das hörten, senkten sie ihre Köpfe und rauften sich ihre Bärte. Und wenn manch einer von euch nicht weiß, was es heißt, sich die Bärte zu raufen, kann ich euch sagen, dass sich die Waldgeister nur dann ihre Bärte raufen, wenn etwas Fürchterliches geschehen ist. Dann senken sie ihr Kinn auf die Brust, vergraben ihre Hände im Bart, klappen ihn hoch und verbergen ihr Gesicht dahinter. Dann atmen sie so fest wie nur möglich durch die Nase aus, viele Male, sodass ihre Barthaare warm und feucht werden. Jetzt standen alle Waldgeister da und prusteten wie atemlose junge Bären; sie wussten nicht, wie es weitergehen sollte. Waldgeister, die sich an Pilzen den Magen verderben, können sehr lange davon krank sein. Es gab eine Geschichte über den Trolljäger Urre, der neun Jahre lang unter Pilzschmerzen litt, bis endlich ein Waldteufel den Pilz aus ihm herauszauberte.
    »Hört her!« Volom-Kar, der jetzt die Rolle des Stellvertreters des Häuptlings eingenommen hatte, ließ seinen Bart los und hob seine Arme über den Kopf.
    »Wir brauchen eine gute Idee, eine wirklich gute Idee!«
    Die Waldgeister hörten auf, sich ihre Bärte zu raufen, doch niemand von ihnen hatte einen wirklich zündenden Einfall.
    »Ihr wisst, was geschieht oder besser nicht geschieht, wenn der Gamle dort krank liegen bleibt. Es gibt kein Fest-der-lauen-Winde, ehe er nicht gesund genug ist, den Frühling herbeizurufen!«
     
    Ja, kleiner Tenn, ich sehe schon, wie merkwürdig du das findest. Die Augen fallen dir ja bald aus dem Kopf. Aber mach deinen Mund ruhig wieder zu, du Blondschopf. Leg dir das Fell um deine Schultern und höre zu. Du verstehst doch, es gibt keinen Frühling, wenn der Häuptling der Waldgeister ihn nicht herbeiruft. Denn all die Magie, all die Kraft, die das Rad der Jahreszeiten zum Drehen bringt, wohnt im Westwald, dem ältesten Teil unserer Welt. Und die Wächter und Diener des Westwaldes sind eben die Waldgeister. Deshalb muss ein Waldgeist jedes Jahr den Frühling auf die Welt rufen, und nur der älteste von ihnen kann das tun. Er muss auf den Hügel emporsteigen und in die Ebene hinunter, in den Wald hinein- und zum Himmel emporrufen. Der Winter, der auf dem ganzen Land liegt, wird sich erheben und aufhorchen. Denn das Rufen muss vom Leben erzählen. Es muss selbst die stärkste Eiswand übertönen. Es muss den Frühling herbeilocken und ihm den Mut geben, den Winter in die Berge im Norden zurückzudrängen. Deshalb waren die Waldgeister so voller Kummer, und keiner von ihnen hatte eine wirklich gute Idee.
    »Vielleicht ist er gar nicht richtig krank? Vielleicht tut er nur so?« Ert schielte unter seinen schwarzen Augenbrauen hervor und suchte bei den

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