Die Traenen des Mangrovenbaums
Rahmen eines opulenten Abendessens statt, das Herr Raharjo auf die Rechnung seines Großvaters setzen ließ. Wenigstens das Geld eines reichen Javaners galt hier ebenso viel wie das eines Holländers.
Anna Lisa pickte in der Rijstafel herum, die auf dem großen, niedrigen Tisch angerichtet war, nippte an einem stark mit Eiswasser verdünnten Genever und lauschte dem Gespräch, das die landesüblichen Umwege machte. Statt rundheraus die Karten auf den Tisch zu legen, unterhielten sich Zeebrugge und sein Freund, als wären sie miteinander allein; Simeon hörte aufmerksam, aber schweigend zu, und die Dame am Tisch wurde ignoriert. Das machte alles noch viel schwieriger für sie, als wäre sie ins Gespräch eingebunden gewesen, denn so traf es sie jedes Mal völlig unerwartet, wenn Raharjo urplötzlich den Kopf in ihre Richtung wandte und einer dieser schwarzen Feuerblicke sie anblitzte – und es war kein zufälliger Blick, das konnte auch einer sehr unerfahrenen Frau nicht entgehen. Eine Leidenschaft lag darin, bei der es ihr heiß und kalt über den Rücken lief; sie wusste nicht, empfand sie Furcht oder Freude, schrie etwas in ihr auf oder war es ein heimliches Jauchzen? Aber nie dauerte dieser Blick länger als einen Lidschlag, nie war er von einem Lächeln begleitet. Sie hatte ihre – wenn auch sehr bescheidenen – Erfahrungen mit männlicher Koketterie gemacht; hier war nichts davon zu bemerken. Sein Blick war eine einzige, stumme, glühende Botschaft: Ich begehre dich.
Und sie konnte nicht anders als den Kopf senken und die Hand ihres Gatten umklammern, der den Hilfe suchenden Griff mit einem sanften, abwesenden Streicheln beantwortete.
Scheinbar ohne jeden Zusammenhang erzählte Herr Raharjo seinem Freund, dass er auf Visitation in einem der Landhäuser seines Großvaters gewesen war. Ganz in der Nähe von Buitenhus lag es und wurde kaum benutzt, da der greise Adhipati alle Lust am Jagen längst verloren hatte. Die Europäer nannten es das Rosenhaus, der rosenfarbenen Majolika-Kacheln wegen, mit denen es verziert war. Kein Palast natürlich, aber geräumig, sauber und gut eingerichtet und mit allem nötigen Personal versehen, mit einem Hauswart, einer Köchin, Dienstmädchen, Hausmägden und diversen Stall- und Gartenknechten. Vielleicht könnten die jungen Vanderheydens dieses Landhaus ja benutzen, bis ihr eigenes wieder brauchbar war?
Simeon zögerte. »Wir verfügen im Moment nur über unsere Reisekasse, und ich weiß nicht, wie lange es dauert, bis unsere finanziellen Angelegenheiten geregelt sind. Die Miete für ein solches Haus …«
Herr Raharjo machte eine wunderschöne, tiefste Verachtung ausdrückende Gebärde mit der erhobenen Hand. »Mein Großvater hat es nicht nötig, Miete zu kassieren. Er könnte das Rosenhaus dem Mijnheer schenken, ohne dass es seinen Reichtum mindern würde. Wir sind ein gastfreundliches Volk und gerne bereit, gefällig zu sein, wo es in unserer Macht steht.«
Simeon bemerkte höflich: »Das wäre ein sehr großes Entgegenkommen des Fürsten, für das ich ihm in aller Form meinen Dank aussprechen möchte. Wie ich hörte, ist er ein weithin bekannter Sammler von Raritäten? Da ihm nun die Jagd und das Reisen zu beschwerlich sind, beschäftigt er sich gewiss vor allem mit seiner kostbaren Sammlung?«
Raharjo, der ungemein stolz auf seinen kunstsinnigen Großvater war, konnte sich nicht enthalten, mit dessen Schätzen zu prahlen. Und er vergaß nicht, seine eigene Rolle dabei herauszustreichen, wenn diese Sammlung um ein neues schönes Stück ergänzt wurde. Beinahe zutraulich erzählte er, welche Mühen er schon auf sich genommen hatte, um die eine oder andere Kostbarkeit zu erwerben; dabei ging es nicht nur um große Summen Geldes, sondern auch um körperliche Gefahren – er hatte schon von Seeräubern und ähnlichen Schurken gekauft, die ihm weitaus lieber die Kehle aufgeschnitten hätten, als ihm die vereinbarten Wertgegenstände auszuhändigen.
»Ich streckte zwei von ihnen nieder, danach nahmen die übrigen Vernunft an«, erklärte er im Plauderton, während er einen langen Zug an seiner indischen Zigarette tat. »Mein Großvater war überglücklich, als er erfuhr, wie es mir gelungen war, diese Elfenbeinschnitzerei für ihn zu erwerben.«
»Ich kann mir vorstellen«, sagte Simeon mit einer leichten Verneigung, »dass Sie eine scharfe Klinge führen; Sie haben die Gestalt und die Bewegungen eines geborenen Fechters.«
Das hörte der Edelmann gerne.
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