Die Traenen des Mangrovenbaums
niemand brauche sich um sie zu bekümmern, niemand möge ihr in die Nähe kommen.
Nach einigem Hin und Her in mehreren Sprachen beruhigte sich das Hauspersonal; allerdings wichen sie alle zur Seite, als Pahti sich mit der Erhabenen näherte, und als Tietjens – die nach dem langen Marsch müde und hungrig war – gähnend das Maul aufriss, wurden neuerliche Schreckensschreie laut. Jedoch waren die Javaner ihren Herren zutiefst ergeben, sie vertrauten ihnen vollkommen, und wenn der junge Edelmann den Wunsch hegte, zwielichtige Gäste mit eigenem Dschinn im Haus einzuquartieren – so möge es sein. Man konnte ja zur Sicherheit beim örtlichen Suduk um einige zusätzliche Amulette vorsprechen.
Setiawan schritt hoch erhobenen Hauptes voraus und geleitete die Gäste ins Innere.
Anna Lisa war begeistert. Ihr vorläufiges Zuhause war geräumig und luftig, man verzichtete hier auf die Unsitte Europas, die Zimmer mit tausend nutzlosen Kleinigkeiten vollzustopfen und die Fenster mit Plüschportieren zu verhängen. Die Räume mit den Teakholzböden und aus Bambus geflochtenen Zwischenwänden waren vornehm möbliert, es stand jedoch nur das wirklich Notwendige darin. Die Luft hier oben war angenehm, sobald man der mörderischen Sonne entfloh. Der vielfältige Duft des Regenwaldes wehte durch die geflochtenen Oberlichter, allerdings auch der schwache Schwefelgeruch, den die Einheimischen wohl gar nicht mehr wahrnahmen, der den Fremden jedoch in die Nase stach. Sie erinnerte sich daran, wie nahe sie dem Tal waren, jenseits dessen sich der hässliche, Schlamm spuckende braune Blaaskaak aus den grünen Hügeln erhob.
Aus dem Untergeschoss, wo sich die Küche befand, schwebte ein süßlich-pikantes Aroma herauf, das Anna Lisa bewusst machte, wie hungrig sie war. Sie war froh, als nach einer ersten flüchtigen Gelegenheit zum Gesicht- und Händewaschen zum Essen gerufen wurde. Im Haus herrschte ein Betrieb wie in einem Bienenstock: Zimtbraune Diener und Dienstmädchen huschten allerorten herum, lautlos wie Fledermäuse und ungemein geschäftig. Da die Einheimischen in ihren Augen fürs Erste alle gleich aussahen, verlor Anna Lisa den Überblick, wie viel Personal eigentlich vorhanden war. Jedenfalls genug, um ihr jeden Handgriff abzunehmen. Setiawan bemächtigte sich ihrer vom ersten Augenblick an: Sie wurden von seinen Untergebenen abgeholt, ins Esszimmer – einen zum Garten hin offenen Raum, der nur durch Moskitonetze abgeschirmt war – geführt, an die ihnen bestimmten Plätze gesetzt; gerade, dass sie nicht noch gefüttert wurden!
Das Essen war das übliche Gemisch aus Reis, Gemüse, Fisch, Huhn und Früchten, alles in mundgerechte Stückchen geschnitten und appetitlich auf Bambusschalen und Bananenblättern angerichtet. Raharjo aß mit ihnen, entschuldigte sich dann aber mit wichtigen Geschäften.
»Ein Einkauf für das Raritätenkabinett des Fürsten?«, fragte Simeon.
»In gewisser Weise, ja. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt im Rosenhaus. Sie können sich hier vollkommen sicher fühlen, nur seien Sie bitte vorsichtig und gehen Sie nicht allein in den Dschungel. Es gibt dort leider auch anderes als wunderschöne Blumen.« Nicht nur die wilden Tiere bedeuteten eine Gefahr, fügte er eindringlich warnend hinzu. Der Dschungel bot auch desertierten Soldaten und von den Plantagen entlaufenen Kulis Deckung und Zuflucht, vor allem aber, und das waren die Schlimmsten, entflohenen Sträflingen aus den Zwangsarbeiterlagern. »Wenn der Mijnheer Blumen sehen will, wird Setiawan dafür sorgen, dass ihn bewaffnete Männer beschützen.«
Simeon sprach seinen höflichen Dank aus, schien aber nicht gerade begeistert zu sein, dass man ihn auf Schritt und Tritt begleiten würde.
Nachdem Raharjo gegangen war, bemerkte Edgar Zeebrugge: »Ich weiß, mein Freund, Sie fühlen sich jetzt ein wenig ans Gängelband gelegt, aber er hat recht mit dem, was er sagt. Vor allem einem ausgebrochenen Sträfling möchte ich nicht begegnen. Das sind keine Hühnerdiebe, verstehen Sie. Wer zur Zwangsarbeit verurteilt wird, wäre besser zum Tode verurteilt worden. Es gibt immer wieder welche unter den Kerlen, die dumm genug sind, die Flucht zu wagen, aber kaum jemals einen, der durchkommt. Entweder werden sie von den Suchtrupps gefasst, ausgepeitscht und aufgeknüpft, oder sie verenden jämmerlich in der Wildnis. Die haben nichts zu verlieren. Das Risiko ist die schönste Orchidee nicht wert.«
Überhaupt, sagte Mijnheer Zeebrugge,
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