Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
Vom Netzwerk:
müssten sie sich hier auf eine etwas rustikalere Umgebung einstellen als im Hotel des Indes. Kein Mann in der Umgebung ging unbewaffnet, und auch die Damen trugen, sobald sie sich von Haus und Heim fortwagten, zumindest einen großkalibrigen Revolver bei sich, wenn nicht überhaupt ein Gewehr.
    »Wenn Sie nicht schießen können, dann lernen Sie es so bald wie möglich.«
    Simeon antwortete etwas pikiert, dass er durchaus schießen könne, und zwar sehr gut, er hatte die ruhige Hand und das scharfe Auge eines zeichnerisch begabten Menschen. Anna Lisa musste den Kopf schütteln, worauf Zeebrugge vorschlug, es ihr beizubringen. »Das lernen Sie rasch, und auch wenn Sie nicht gleich eine Meisterschützin werden, gebietet eine Waffe immer Respekt.«
    Und er schritt sofort zur Tat. Setiawan wurde gerufen, und Anna Lisa stellte fest, dass das Haus mit Waffen wohlversorgt war, denn der Hauswart brachte gleich fünf verschiedene für eine Dame geeignete Feuerwaffen herbei, zwei Revolver und drei Pistolen. Zeebrugge führte die junge Deutsche hinaus in den Garten und zeigte ihr dort, wie man die Waffe lud und sicherte, dann wies er sie an, auf den Stamm eines dürren Baumes zu zielen, an dessen waagerechten Ästen bunte Wollsträhnen zum Trocknen hingen.
    Anna Lisa war nicht angetan von der Übung, aber sie war verständig genug einzusehen, dass sie sich besser mit einer Waffe vertraut machte. Also stellte sie sich hin, wie Zeebrugge es ihr vormachte, visierte den Baum an und drückte ab. Der Knall des Schusses fühlte sich an wie eine Ohrfeige. Im Dschungel jenseits der Lichtung brach hysterisches Affengeschrei aus, zwei Rhesusaffen sausten über die Lichtung, gefolgt von einer Familie Gibbons, die entsetzlich kreischend auf allen vieren dahinsprangen und sich in die Wirrnis der Banyan-Bäume auf der anderen Seite flüchteten.
    »Herrgott!«, schrie die junge Frau entsetzt auf. »Habe ich eines von den Viechern getroffen?« Ihr hatten schon die Hasen leidgetan, die in der Küche des Lobrecht’schen Hauses abgeliefert wurden, und der Gedanke, dass womöglich ein blutendes Äffchen auf dem Rasen lag, schnitt ihr ins Herz.
    Zeebrugge beruhigte sie. »Die sind nicht so leicht zu erwischen, und fürs Erste haben Sie nicht einmal den Baum getroffen. Schauen Sie, so müssen Sie es machen.« Er stellte sich hinter sie, hielt ihre Hände und Arme in der richtigen Position. »Und jetzt noch einmal.«
    Diesmal flogen Holzsplitter. Die Affenbande keifte wütend aus den Baumwipfeln herunter.
    »Schon viel besser. Noch einmal.«
    Anna Lisa, deren Ehrgeiz jetzt geweckt war, konzentrierte sich vollkommen darauf, den Baum zu treffen, und merkte nichts davon, dass dem Mann in ihrer Nähe das Herz klopfte und sein Atem schneller ging. Ihre Wangen waren gerötet, ihre Augen blitzten, als ihre Schüsse von einem Mal zum anderen näher ans Ziel heran trafen. Als dann zum ersten Mal eine Kugel mitten in dem toten Stamm stecken blieb, jauchzte sie laut auf und wandte sich lachend um. Diesmal erkannte sie den Ausdruck in seinem Gesicht, aber sie empfand nichts als Freude und Dankbarkeit. »Oh, Sie sind wunderbar!«, rief sie. »Was für ein guter Lehrer Sie sind! Ich dachte nie, dass ich so schnell schießen lernen würde!«
    Er trat einen Schritt zurück, als fürchtete er um seine eigene Beherrschung. »Ja, das haben Sie gut gemacht. Aber Sie müssen üben, so oft wie möglich. Im Notfall müssen Sie fähig sein, eine Waffe zu ziehen und abzufeuern, ohne nachzudenken.«
    Sie legte die entladene Pistole weg, wie er es ihr gezeigt hatte. »Ich könnte nur nie auf etwas Lebendiges schießen.«
    »Das wird sehr darauf ankommen, wie dieses Lebendige Ihnen begegnet. Ich bin kein Freund der Jagd zum bloßen Vergnügen, da bin ich ganz Ihrer Meinung. Was man schießt, muss man auch essen, sonst versündigt man sich an der Schöpfung. Aber es gibt leider Tiere und auch Menschen in diesem Land, bei denen ich mir sagen muss: entweder er oder ich.«
    Gemeinsam schlenderten sie zum Haus zurück. »Stimmt es«, fragte sie neugierig, »dass es hier im Dschungel Tiger gibt?«
    »Ja, aber sie kommen nicht zu den Häusern der Menschen, wenn Ihnen das Sorgen macht.« Die riesigen Raubkatzen, sagte er, waren feige. Ein Tiger griff immer von hinten an. Nie stellte er sich zum offenen Kampf. Lautlos schnellte die gewaltige Masse seines Körpers aus dem Dickicht und begrub das Opfer unter sich, während die dolchartig gekrümmten Klauen es packten. Und immer suchte er

Weitere Kostenlose Bücher