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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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Grün und Bunt überschüttete ihn. Über der Gruppe von Reisenden türmten sich rechter Hand die Klippen, überwuchert von einer wilden, triefenden Vegetation, deren wirrer Filz von oben herab in den Pfad hing. Linker Hand fiel der Hang in felsigen Stufen ab. Mannshohe Vorhänge nie gesehener, in allen Farben leuchtender Blüten überdeckten und durchbrachen die grüne Wirrnis. Wäre Simeon nicht durch sein verstauchtes Bein behindert gewesen, er wäre aus dem Tragsessel gesprungen, um alle die Pracht aus der Nähe zu besehen. Edgar Zeebrugge musste ihn daran erinnern, dass die Blumen auch in den nächsten Tagen noch da sein würden.
    Wieder durchquerten sie auf ihrem Weg den Totenhof, schnell und schweigend, und atmeten auf, als sie die bedrückenden Ruinen hinter sich gelassen hatten. Auch an der Plantage Buitenhus zogen sie rasch vorbei. Anna Lisa hatte gedacht, ihr Gatte würde wenigstens sehen wollen, was man ihm als Heimstatt zugedacht hatte, aber ihn interessierten gerade einmal die schwefelgelb blühenden Ranken, die sich an der Begrenzungsmauer entlangschlängelten. Dann kam Herrn Zeebrugges Haus in Sicht, und wie dieser gesagt hatte, dauerte es danach keine Viertelstunde mehr, ehe sie aus dem zottigen, graugrünen Tunnel des Dschungels mit seinem geisterhaften Halblicht auf eine weite, sorgsam gerodete Fläche gelangten, in deren Mitte ein Haus stand.
    Diesmal war es Anna Lisa, die einen Ausruf des Entzückens ausstieß. Sie hatte sich alles Mögliche vorgestellt, aber nicht diese liebliche kleine Villa mit ihren Majolika-Schindeln, den leuchtend weiß getünchten Mauern und den zierlichen Fenstergittern. »Wie schön! Wie schön!«, rief sie aus, und alle Etikette vergessend ergriff sie spontan die Hand des jungen Edelmannes, der sein Pferd neben dem Tragsessel angehalten hatte. »Was für ein bezauberndes Haus! Bitte sagen Sie dem Fürsten, wie dankbar ich bin, es ist wie … wie ein Märchenhaus!«
    Jemand unversehens anzufassen, schon gar einen gesellschaftlich höher Gestellten, galt auf Java als sehr grobe Unhöflichkeit, aber Raharjo war weitherzig genug, die echte Begeisterung hinter der Geste zu spüren. Er zog zwar rasch seine Hand zurück, sagte aber in freundlichem Ton: »Sie sind überwältigt von Freude; es wird meinem Großvater gefallen, dass seine kleine Leihgabe mit so viel Enthusiasmus aufgenommen wurde.«
    Anna Lisa errötete. Sie hatte sehr wohl bemerkt, wie er seine Hand fortzog, und sie verstand auch, was sich in seinen höflichen Worten verbarg, nämlich die Mahnung: Aber das nächste Mal beherrschen Sie sich bitte und zeigen bessere Manieren, auch wenn Sie begeistert sind!
    »Verzeihen Sie«, bat sie.
    Glücklicherweise wurden sie alle abgelenkt, weil der Hauswart sie kommen gesehen hatte und mit dem Rest der Dienerschaft herbeieilte, um den Hausherrn und seine Gäste zu begrüßen. Er war ein kleiner, tabakbrauner, muskulöser Mann in fortgeschrittenen Jahren, der einen seidenen Sarong und auf dem Kopf einen Turban trug und als Zeichen seiner Würde den Schlüsselbund an einer um die Hüfte geschlungenen Kette.
    »Das ist Setiawan«, stellte Raharjo ihn vor. »Sein Name bedeutet ›Treue‹, und er könnte keinen besseren tragen. Er wird sich um alles kümmern, wenden Sie sich einfach in allen Dingen an ihn. Setiawan, der Mijnheer und seine Frau wünschen sich um nichts sorgen zu müssen, was die Führung des Haushalts angeht.«
    Anna Lisa verstand. Die haben dir nichts dreinzureden.
    Setiawan verneigte sich mit gefalteten Händen und strich dann über seinen grauen Ziegenbart. »Die Gäste meines Herrn werden seinen Wünschen gemäß versorgt werden«, beteuerte er in holprigem Holländisch.
    Es wird euch hier gut gehen, aber versucht bloß nicht, euch wichtigzumachen, hier hat nur mein Herr das Sagen.
    Dann erschien Pahti mit Tietjens. Der Schwarm der Haussklaven wich ängstlich schnatternd zurück.
    Raharjo richtete den Blick fest auf seinen Majordomus, als wollte er ihn damit auf die Stelle bannen, und sprach hastig auf Malayalam auf ihn ein, wobei mehrmals die Ausdrücke »Dschinn« und »Allah« fielen. Offensichtlich wurde Tietjens als gottgefälliger Dschinn vorgestellt. Setiawan war deutlich anzusehen, dass ihm einen Augenblick lang die Knie weich wurden, aber als altgedienter Domestik beherrschte er seine Erschütterung meisterlich.
    Simeon rief Pahti zu, er möge erklären, dass Tietjens stets im Zimmer der Herrschaften oder in Pahtis Kämmerchen schlafen würde,

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