Die Traenen des Mangrovenbaums
sich einzelne, schwache Opfer aus, kränkelnde Tiere oder solche, die den Anschluss an ihre Herde verloren hatten, und einzelne Menschen, Holzfäller, Wurzelsucher, Orchideenpflücker. Eine ähnliche Gefahr stellten die Leoparden dar, die, unsichtbar im Wirrwarr der Lianen, langgestreckt auf hohen Ästen lagen und sich unversehens von oben auf ihre Opfer herabstürzten.
»Sie sehen also«, sagte Edgar Zeebrugge, »Ihr Gatte sollte daran denken, dass er nicht im Botanischen Garten spazieren geht, sondern in einer sehr gefährlichen Landschaft.«
»Ich werde es ihm sagen. Aber ich glaube, Setiawan würde ohnehin nicht zulassen, dass er alleine losgeht.« Ihre Stimme nahm einen zutraulichen Ton an. »Herr Zeebrugge … warum hat Herr Raharjo uns dieses Haus zur Verfügung gestellt? Mir will der Gedanke nicht aus dem Kopf, dass er einen bestimmten Grund dafür hatte.«
Der Holländer warf ihr einen raschen, argwöhnischen Blick zu, dann lachte er leichthin. »Oh, gewiss hatte er den. Er prahlt gerne mit dem Reichtum seines Großvaters. Es macht ihm Spaß, den Europäern zu zeigen, dass es für ihn ein Klacks ist, ein ganzes Haus samt Dienerschaft nach Belieben zur Verfügung zu stellen. Es schmeichelt seiner Eitelkeit.«
Anna Lisa nickte. Das mochte so sein. Und doch wurde sie das Gefühl nicht los, dass der hilfsbereite junge Edelmann sie in einen goldenen Käfig gesperrt hatte. Sie hatte zu deutlich gespürt, dass Setiawan jeden ihrer Schritte überwachen und kontrollieren würde. Aber wozu? Was konnten sie ihm schaden oder nutzen? Schon wollte sie die Frage an Zeebrugge stellen, als sie es sich anders überlegte. Er war befreundet mit Herrn Raharjo; es wäre sehr peinlich gewesen, wenn er ihm ihre Fragen hinterbrachte.
Also lachte sie nur und sagte: »Reiche Leute sind überall auf der Welt gleich. Aber hier ist es wirklich, als hätte uns ein Feenkönig zu seinen Gästen gemacht.«
Die Gäste des Feenkönigs
N ach all den Misserfolgen und dem Ärger, den sie seit ihrer Hochzeit erlebt hatte, erschienen Anna Lisa die nächsten Wochen als ein Wirklichkeit gewordenes Märchen. Sie wurde umsorgt wie eine Königin. Wo irgendetwas zu tun war, griff schon eine geschickte braune Hand zu und erledigte es, ohne dass man extra zu rufen brauchte. Unter Setiawans Aufsicht lief der Haushalt wie geölt; wie zuvor an Bord der Anne-Kathrin wurden die Gäste rund um die Uhr gehegt, sodass alles stets zu ihrer Bequemlichkeit bereitstand, ohne dass sie selbst viel gefragt wurden. Fräulein Bertram hatte rein gar nichts zu tun, außer dass sie ihrer Herrin beim Ankleiden und Frisieren helfen durfte, ansonsten saß sie in einem Schaukelstuhl im Schatten der Kretek-Bäume, las in ihrer Bibel oder strickte Schals aus der wunderbar weichen, in den schönsten Farbtönen schimmernden Wolle, die man hier im Hause selbst färbte.
Simeon fühlte sich wie Adam im Paradies. Seine Gesundheit, um die er sich solche Sorgen gemacht hatte, besserte sich trotz der glühenden Tageshitze und der Monsunwinde, deren heißer Hauch den Boden austrocknete und das Laub vergilben ließ. Er ging immer noch auf einen Stock gestützt, aber er war eifrig unterwegs, seine Stimmung war ausgezeichnet, und er legte einen kräftigen Appetit an den Tag – einfach, weil er glücklich war, weil er sich der Beschäftigung hingeben konnte, die ihn am meisten interessierte, und dabei noch auf jede Weise unterstützt wurde. Man begleitete ihn fürsorglich bei seinen kurzen Expeditionen in den Dschungel, trug seine Botanisiertrommel, beschaffte Papier, Federn und farbige Tusche, damit er die gesammelten Blüten zeichnen konnte, und nannte ihm bereitwillig die Namen und Eigenschaften der javanischen Flora. Es tat ihm nur leid, dass er keine Herbarien anlegen konnte: Die im Oktober zu erwartende Regenzeit hätte unweigerlich die gesamte aufwendige Arbeit zunichtegemacht. Wenn es Tag für Tag, Nacht für Nacht schüttete wie aus Eimern und einem kaum ein Faden am Körper trocken blieb, hatte ein Herbarium keine Überlebenschance.
Für Buitenhus interessierte Simeon sich während der nächsten drei Wochen nicht im Geringsten. Die Verwaltung lag jetzt in den Händen des Gerichts, überwacht vom deutschen Konsul und dem tüchtigen Dr. Ascher, und außerdem war ja Godfrid unterwegs nach Java. Wenn der die Plantage wieder aufbauen wollte, sollte er es ruhig tun.
Herr Raharjo, der nur selten und dann für kaum eine Stunde im Rosenhaus auftauchte, lobte diese Einstellung als
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