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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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praktisch nichts zu tun gehabt hatte. Also sagte sie: »Ich glaube nicht, dass du zu einer Zofe geschickt wärst, außerdem habe ich eine, aber eine Gesellschafterin würde ich brauchen – mein Mann beschäftigt sich so viel mit seinen Blumen, und sonst gibt es nur Einheimische hier, von denen die meisten nur Malayalam sprechen. Ja, ich möchte gerne, dass du hierbleibst – wenn Simeon es erlaubt.«
    Das war eine reine Höflichkeitsfloskel. Simeon war es vollkommen gleichgültig, ob sie sich eine Gesellschafterin zulegte oder nicht; wenn sie Freude daran hatte, warum nicht?
    Also wurde Gesine offiziell in den Haushalt aufgenommen. Anna Lisa war bald sehr froh über ihre Entscheidung. Es tat so gut, in den langen einsamen Stunden, die Simeon mit Botanisieren und Zeichnen verbrachte, mit jemand sprechen zu können, noch dazu in ihrer Muttersprache, und Gesine war weit über ihre elf Jahre hinaus erwachsen – in vieler Hinsicht hatte das Arbeiterkind mehr Lebenserfahrung als die behütete Bürgertochter.
    Dieses Erwachsensein führte dazu, dass Anna Lisa nur zwei Tage nach Gesines Ankunft von dieser ein erschreckendes Geheimnis erfuhr. Anlass für die Mitteilung war der Umstand, dass einige der zum Haus gehörenden Ziegen Zicklein bekamen, was Gesine zu allerhand medizinischen Überlegungen anregte. »Wenn eine Jungfrau das erste Mal mit einem Mann zusammen ist, dann blutet sie. Und wenn dann ein zweiter Mann bei derselben Frau liegt, weiß er genau, dass sie keine Jungfrau mehr ist, weil sie nicht blutet. Dann schlägt er Krach, weil sie ihn reingelegt hat, klar.«
    Anna Lisa beeilte sich sehr, das Interesse des Mädchens von dem Thema abzulenken, und es gelang ihr, aber ihr steckte es wie ein Pfeil im Herzen.
    Dann schlägt er Krach .
    Das hatte Simeon aber nicht getan. Er hatte ganz offensichtlich nichts Besonderes an ihr bemerkt. Oder doch? Aber warum hatte er nichts gesagt? Wusste er vielleicht jetzt, in diesem Augenblick, Bescheid und trug das Wissen mit sich herum? Nein, das war unmöglich. Er wäre doch gewiss enttäuscht und zornig und gekränkt gewesen, wenn er herausgefunden hätte, dass sie ihn betrogen hatte. Kein Mann würde so etwas schweigend hinnehmen. Er hatte es in seiner Aufregung ganz einfach nicht bemerkt, deshalb hatte er nichts gesagt.
    Stille Wasser sind tief.

Das Flammengrab
    H err Raharjo ließ sich in den nächsten Tagen und Nächten nicht im Haus blicken, und Anna Lisa war froh darüber. Sie hatte trotz allen Nachgrübelns noch keinen Weg gefunden, wie sie sich aus dem Rosenhaus verabschieden konnte, ohne Simeon misstrauisch zu machen und Raharjo zu erzürnen – und vor allem, wohin sie dann gehen sollten, denn ihre Reisekasse wurde allmählich sehr knapp, in der Bank wollte man mit weiteren Zahlungen nicht herausrücken, ehe Godfrid Brägens nicht angekommen war, und Buitenhus wurde zusehends zu einem unbewohnbaren Rattennest.
    Anna Lisa verspürte auch nicht den geringsten Wunsch, sich in dem verseuchten Herrenhaus einzuquartieren, aber es machte ihr doch Sorgen, dass ihnen die letzte Ausweichmöglichkeit genommen war. Zeebrugge würde gastfreundlich genug sein, aber wie konnte sie ihm und Simeon einen plausiblen Grund nennen, warum sie den Luxus des Rosenhauses verschmähte?
    Der Gedanke kam ihr, ein offenes Wort mit Herrn Raharjo zu reden, ihm kurzerhand zu sagen, dass sie nicht länger seine Gäste sein konnten. Dann musste er einen Vorwand finden, sie auszuquartieren. Aber wenn er das gar nicht wollte?
    Wie ein Kind, das sein schlechtes Gewissen wegen eines heimlich gegessenen Kuchens durch besondere Bravheit zu beschwichtigen versucht, kümmerte sie sich in diesen Tagen aufs Eifrigste um Simeons Wohlergehen. Wenigstens wusste sie, wie er am leichtesten glücklich zu machen war: Sie hörte ihm aufmerksam zu, wenn er über Blumen redete, und sie schlief mit ihm, sooft er wollte. Und er wollte jetzt oft. Befreit von Angst und schlechtem Gewissen, nutzte er jede Gelegenheit, um nachzuholen, was ihm so lange versagt geblieben war. Er war wie ein Kind, das sich lange gefürchtet hat, einen verschlossenen Raum zu betreten, weil es ihn für ein Spukzimmer hielt, und dann bei Licht besehen plötzlich feststellt, dass er freundlich und wohnlich und voll der wunderbarsten Spielsachen ist.
    An einem Nachmittag zwei Wochen nach Herrn Raharjos heimlichem Besuch saßen die beiden jungen Eheleute im Garten und naschten an dem Teller mit aufgeschnittenen Früchten, den das Dienstmädchen

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