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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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suchte das Gesicht des schwarzen Sklaven, der neben ihm kauerte.
    »Dongdo«, flüsterte er, »du musst für mich tun, was ich selbst nicht mehr tun kann. Töte mich mit meinem eigenen Kris, und dann verbrenn meinen Leichnam; ich will nicht, dass er in die Hände von van Schujtens Schergen fällt.«
    Dongdo widersprach nicht; er wusste, dass er seinem Herrn nur noch diesen einen Dienst leisten konnte. Auf keinen Fall durfte er zulassen, dass die Holländer Schande über ihn und seine ganze Familie brachten, indem sie den Leichnam schändeten, ihn kopfüber an einen Ast hängten und mit Stöcken schlugen, wie sie es mit den Leichen anderer gefallener Helden getan hatten.
    »Ich gebe dich frei, Dongdo«, flüsterte der Verwundete. »Folge mir nicht nach. Geh und lebe. Nie habe ich einen treueren Diener gehabt als dich.«
    Dongdo hob den erschlafften Körper ein wenig an, zärtlich wie eine Mutter, die ihr Kind in die Arme nimmt, und zog den Kris aus der gefalteten Schärpe am Rücken. Raharjo bedeutete ihm, die Waffe in seine Linke zu legen. Einen Augenblick dachte Dongdo, er wolle doch selbst tun, was er von seinem Diener erbeten hatte, aber seine Kräfte ebbten mit jedem Atemzug ab. Er hatte gerade noch Kraft genug, den heiligen Dolch in einem ehrfürchtigen Kuss an die Lippen zu drücken und ein Gebet zu flüstern, in dem er seinen Schutzgeist bat, ihn sicher in die andere Welt zu geleiten; dann streckte er die Hand aus und gab die Waffe an Dongdo weiter. Noch einmal strafften sich seine Züge, die schwarzen Augen leuchteten auf, als er, alle Kräfte zusammenraffend, mit gewohnter Entschlossenheit den Befehl hervorstieß: »Schnell! Ich höre sie kommen!«
    Der Schwarze hörte nichts, aber er hielt sich nicht lange mit der Frage auf, ob sich tatsächlich Hufschläge näherten oder der schwer Verwundete halluzinierte. Seine wulstigen Lippen öffneten sich zu einem kaum hörbaren Segensspruch, dann, während er den Sterbenden mit einem muskulösen Arm hielt, stieß er den flammenförmigen Dolch in seinen Hals. Es war nicht das erste Mal, dass er einen solchen Stoß tat, schnell und zielsicher. Raharjo brach tot in seiner Umarmung zusammen, kaum dass der Dolch die Halsader durchtrennt hatte. Blut schoss aus der Wunde und durchtränkte die Kleider. Dongdo drückte mit zwei Fingern die Augen zu, die bereits ihren Glanz verloren hatten. Dann richtete er sich halb auf und lauschte.
    Die Hufschläge, von denen der Sterbende gesprochen hatte, waren jetzt tatsächlich zu hören, freilich in einiger Entfernung. Dongdo sah, dass er keine Zeit zu verlieren hatte. Er sprang mit einem affenhaften Satz aus seiner zusammengekauerten Haltung auf. Sein Blick huschte über den Raum. Es gab Holz genug hier für einen Scheiterhaufen, aber würde er Zeit genug haben, die wurmstichigen Möbel zu zerbrechen und über den Leichnam zu schichten? Wozu die Mühe? Er holte das Feuerzeug aus der Satteltasche, und kreuz und quer durch die Küche eilend, hielt er die kleinfingerlange Flamme an alles, was Feuer fing: Büschel trockener Luftwurzeln, die durch die Risse in der Decke herabhingen, vom Wind hereingewehtes dürres Gras, Lumpen, die einmal Vorhänge, Tischtücher und Geschirrtücher gewesen waren. Eine Flammenzunge versengte den verrotteten Binsenteppich – eine einzelne Flamme, die wie ein roter Krokus genau in der Mitte des Teppichs erschien, als ein brennendes Bündel Wurzeln von der Decke darauf herabfiel. Weitere folgten ihr: rote Schösslinge, die rasch die raue Fläche des Belags durchbrachen. Das Feuer wehte über die Oberfläche des verkohlenden Binsengeflechts und grub sich tief in die ausgedörrten Bretter darunter. Dongdo verdoppelte seine Anstrengungen. Der warme Wind, der durch die Ruine hauchte, beschleunigte sein Werk. Funken glühten auf, wuchsen zu Flämmchen heran, loderten erst fingerlang, dann armlang empor. In dem muffigen Raum wurde es heiß und hell, als immer mehr Glutnester sich in Feuerstellen wandelten.
    Dongdo hob den Leichnam auf und legte ihn auf den Küchentisch, an dessen gedrechselten Beinen bereits die ersten Flammen emporleckten. Das zundertrockene Holz krachte und knisterte. Die Luft im Raum flimmerte, Rauch und Hitze stiegen auf. Er machte noch einmal die Runde. Gleich darauf züngelten Flammen vor der Verandatür, den zerfetzten Bambusvorhängen und an anderen Stellen im Raum auf. Flammen leckten an der Wand empor, dichte Rauchwolken stiegen zur Decke. Flauschiger Staub, der sich auf den

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