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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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Kontrolleur den Rebellen eine Falle gestellt, indem er vorgab, Waffen zu den Bewachern der Sträflingslager an der Küste liefern zu lassen. In Wirklichkeit waren die geschlossenen Fuhrwerke jedoch voll mit bewaffneten Männern. Hätten die Rebellen sie zu kapern versucht, wären sie wahrscheinlich bis zum letzten Mann niedergemacht oder gefangen genommen worden.«
    Anna Lisa senkte den Blick auf den Teller. »Aber es kam anders?«
    Simeon, für den das Geschehene offenbar in die Kategorie »Klatsch und Tratsch« fiel, bemerkte ihre Anspannung nicht. Er aß mit gutem Appetit weiter, während er erzählte. »Die Burschen waren schlauer als gedacht, oder sie müssen einen geheimen Hinweis bekommen haben, jedenfalls schnappte die Falle nach der falschen Seite zu. Sie spannten Schnüre über die Straße, sodass die Pferde stolperten, dann stürmten sie von beiden Seiten aus dem Wald und machten die Pferde zusätzlich scheu, indem sie bengalisches Feuer zündeten, und als die geschlossenen Wagen umstürzten, feuerten sie aus dem Hinterhalt auf die Männer darin, die praktisch wehrlos waren. Es gab eine Menge Tote und Verwundete bei den Holländern, aber sie erwischten keinen Einzigen von den Aufständischen, die huschten in den Wald zurück wie Geckos in eine Mauerritze und waren verschwunden, während auf der Straße blutiges Chaos herrschte. Der Kontrolleur ist außer sich vor Wut.«
    »Ja, das kann ich mir vorstellen«, murmelte Anna Lisa, die jetzt wusste, warum Raharjo in der Nacht wie von Sinnen gewesen war – außer sich nicht nur vor sexueller Begierde, sondern auch vom Blutrausch und dem Rausch des Triumphs über seine Feinde. »Und was sagst du dazu?«
    »Ich?«, fragte Simeon ehrlich erstaunt. »Was soll ich dazu sagen? Und außerdem: Wer fragt mich denn?«
    Damit war das Thema für ihn erledigt, und er kehrte zu seiner Beschreibung des botanischen Gartens zurück.
    Die ganze Zeit hindurch war Anna Lisa bange gewesen bei dem Gedanken, dass Fräulein Bertram ihr Versprechen vielleicht doch nicht halten und ausschwätzen würde, warum sie den Haushalt der Vanderheydens verlassen hatte. Dass die Zofe geschwiegen hatte, erfuhr sie auf eine ganz unerwartete Weise.
    Herr Setiawan meldete beim Mittagessen, dass ein »sehr zottiges« Mädchen Mevrouw Vanderheyden sprechen wolle. Anna Lisa, die nicht wusste, was sie sich unter einem derartig haarigen Geschöpf vorstellen sollte, sprang vom Tisch auf und eilte neugierig hinaus. Sie stellte fest, dass Herrn Setiawans mangelhaftes Holländisch sie in die Irre geführt hatte. Im Schatten des Vordaches stand eine junge Person mit einem Handköfferchen, die keineswegs zottig , sondern nur zerzaust war – und im Übrigen niemand anderer als Gesine Schreiner. Schnaufend, keuchend, verschwitzt und von Schnaken zerstochen stand sie da, nahe daran, vor Erschöpfung umzufallen. Nur mit Mühe brachte sie ihr Anliegen vor: In Batavia erzählte man, dass Fräulein Bertram ihre Herrschaft verlassen hatte, um wieder »in die Mission« zu gehen, und da es ihr, Gesine, in ihrer Stellung bei einem deutschen Kaufmann absolut nicht gefiel, hatte sie kurzerhand gekündigt und sich zu Fuß auf den Weg gemacht, weil die junge Frau, die so lieb und sanft wie ein Karnickel war, jetzt sicher eine Zofe brauchen würde.
    Anna Lisa sorgte in aller Eile dafür, dass sie zu trinken und zu essen bekam und sich ausruhen konnte, erst dann überhäufte sie sie mit Fragen. »Zu Fuß bist du durch den Dschungel gelaufen? Bist du verrückt? Das ist gefährlich! Und in solchen Kleidern!«
    Gesine trug nämlich, wie es sich für ein sittsames deutsches Mädchen gehörte, lange Strümpfe, ein Hemdhöschen, lange Unterhosen, zwei Unterröcke, ein Kleid, eine Schürze und darüber ein gehäkeltes Umschlagtuch. Wenigstens war ihr Handkoffer keine schwere Last gewesen. »Sie brauchen mich doch, liebe Dame?«, fragte sie. »Sie wollen doch sicher eine deutsche Zofe, nicht wahr?« Jetzt, am Ende des beschwerlichen und furchterregenden Weges durch den Dschungel – denn gefürchtet hatte sie sich weit mehr, als sie zugeben wollte –, überkam sie die Angst, abgewiesen zu werden.
    Anna Lisa war ratlos. Die kleine Tochter eines Kohlenträgers aus dem Ruhrgebiet war gänzlich ungeeignet als Zofe, aber wegschicken konnte sie sie jetzt auf keinen Fall, und sie wollte es auch gar nicht. Sie erinnerte sich, wie angenehm ihr die Gesellschaft des klugen Mädchens schon auf dem Schiff gewesen war, wo Gesine ja auch

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