Die Traenen des Mangrovenbaums
ergriffen; dann spähte er in alle Ecken, und sein Atem ging schnell und schwer, wenn die Angst ihn überwältigte. Pahti war jedes Mal sofort bei ihm, tröstete, beruhigte, brachte die Schatulle mit den Phiolen. Auch der Javaner schwor auf Herrn Liaos halb medizinisches, halb magisches Heilmittel. Anna Lisa war nicht sicher, ob ihr Gatte sich die heilsame Wirkung nur einbildete – aber selbst wenn, wem schadete es? Es beruhigte ihn, das war alles, was zählte.
Pahti war überzeugt, dass seine Gebete und Opfer diese Besserung herbeigeführt hatten, und zweifellos war auch Tietjens der Meinung, dass ihr Handablecken und Kopf-aufs-Knie-Legen etwas bewirkt hatte, denn Simeon erholte sich zusehends. Er lag still in seinem Deckstuhl auf der überdachten Veranda, die abgemagerten Hände im Schoß, den Kopf mit halb geschlossenen Augen zur Seite gedreht, und schien das monotone Rauschen des Regens in sich aufzusaugen. Wie aus Stein gehauen lag Tietjens zu seinen Füßen. Auch Pahti war immer bei ihm, stets bereit einzugreifen, wenn die dunklen Wolken des Wahnsinns den Unglücklichen umnachteten, wenn er anfing zu schreien und nach unsichtbaren Ungeheuern schlug, von denen er sich bedrängt wähnte. Zumeist gelang es dem Diener – der jetzt mehr ein Pfleger war –, ihn so weit zu beruhigen, dass er sich Herrn Liaos Theriak einflößen ließ. Was immer die Phiolen enthielten, es wirkte. Die Krämpfe, die Todesangst und die scheußlichen Halluzinationen verebbten, und ein halb betäubter Kranker ließ sich zu Bett bringen.
In Batavia und Umgebung sorgte das Drama rund um die Familie Vanderheyden für reichlich Gesprächsstoff in der gemeenschap . Als sich der ererbte Reichtum der Vanderheydens herumsprach, suchten plötzlich erstaunlich viele Europäer den Kontakt zu ihnen. Allerdings endeten diese Versuche, die bis dahin Missachteten in der Gemeinschaft willkommen zu heißen, in Sackgassen. Mit Erstaunen stellten die Mijnheers und ihre Gattinnen fest, dass ihnen die junge Frau Vanderheyden die Tür wies. Es war auch Anna Lisa, die sich weigerte, nach Weltevreden umzuziehen, obwohl es dort viele hübsche Häuser zu kaufen oder zu mieten gab. Sie dachte nicht daran, das Rosenhaus zu verlassen. Nur zwei Gäste waren dort gerne gesehen: Edgar Zeebrugge und Dr. Liao.
Es gingen die wunderlichsten Gerüchte um, angefangen von einem Fluch, der die Vanderheydens getroffen hatte, bis hin zu der üblen Nachrede, Anna Lisa selbst trage Schuld am Unglück ihres Gatten; sie hätte den wunderlichen jungen Mann bald sattgehabt und sich seiner zu entledigen versucht. Unnötig zu sagen, dass solche Behauptungen nur im Flüsterton verbreitet wurden, aber verbreitet wurden sie. Da half auch nicht, dass die junge Frau in der Pflege ihres Gatten aufging, dass sie Tag und Nacht an seiner Seite war und kaum Interesse an sich selbst hatte. Man nickte wissend, man zog die Augenbrauen hoch, man legte den Zeigefinger an die Nase. Man tauschte Bemerkungen aus, wie sehr die Tochter des alten Lobrecht sich verändert hatte – und das jedenfalls stimmte. Aus dem puppenhaften jungen Mädchen war eine ernste, über ihre Jahre hinaus gereifte Frau geworden.
Anna Lisa wusste, dass sie – während die Böswilligen ihre Verleumdungen ausstreuten – von den Gutwilligen wegen ihres kranken Mannes bedauert wurde. Sie wusste auch, dass nicht wenige in der »guten Gesellschaft« der Meinung waren, man sollte ihn zu seiner Familie nach Holland zurückschaffen. Gewiss, seine Eltern und sein Bruder waren tot, aber irgendjemand würde sich doch wohl um ihn kümmern. Warum wollte eine Frau, die noch keine zwanzig Jahre alt war, sich mit dem armen Irren lebendig einmauern, wenn sie ihn loswerden und – mit aller Diskretion selbstverständlich – ein vergnügtes Leben führen konnte?
Simeon selbst äußerte zuweilen diese Meinung. »Ich bin nur eine Last für dich, Meisje«, sagte er dann. »Warum fährst du nicht zu deiner Familie? Pahti würde bei mir sein.«
»Meine Familie bist du. Und …« Sie legte die flache Hand auf den Bauch. »… das Kind. Du kannst doch dein Kind nicht allein lassen.«
Das war ein Argument, dem er sich nicht widersetzte. Er war so stolz darauf, dass er den Lobrechts hatte telegrafieren können, Anna Lisa sei schwanger. Der jungen Frau stach es dann jedes Mal wie ein Messer ins Herz, und die Schuld, die sie heimlich trug, überwältigte sie beinahe. Wenn er nun nicht der Vater war? Wenn das Kleine aus Raharjos Lenden
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