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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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Anrecht auf einen Gulden davon, und doch war es jetzt an ihr, der noch nicht einmal Achtzehnjährigen, die entscheidenden Worte zu sprechen.
    »Ja«, sagte sie mit einer Stimme, die für sie selbst fremd und heiser klang.
    Dr. Ascher stand auf. »Dann komme ich jetzt mit Ihnen. Ich habe eine Vollmacht Ihres Gatten von dem Tag, an dem Sie hier ankamen, aber damals handelte es sich nur um die Verfügung über Buitenhus; es wird Einwände geben, da jetzt so viel mehr auf dem Spiel steht, und ich möchte eine Unterschrift, mit der er mir die Rechtsvertretung wegen der Erbschaft überträgt. Sie müssen es irgendwie schaffen, dass er ein solches Papier unterschreibt. Wird das möglich sein?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete sie bitter. »Vielleicht erkennt er Sie und mich, vielleicht auch nicht. Vielleicht ist er kräftig genug, den Schreibstift zu halten, vielleicht auch nicht. Vielleicht versteht er, was von ihm erwartet wird, vielleicht auch nicht.«
    Zu dritt kehrten sie in aller Eile zurück. Anna Lisa sprang aus dem Sattel und eilte ins Haus, von der Angst überkommen, Simeons Zustand könnte sich in ihrer Abwesenheit verschlechtert haben, aber Herrn Liaos Gehilfe beruhigte sie. Dem Kranken ging es sogar ein wenig besser, er hatte sich überreden lassen, Tee zu trinken und eine Schale Suppe zu essen, ohne dass ihn davor schauderte.
    »Sein Anwalt ist da«, sagte sie. »Wir brauchen seine Unterschrift unter eine Vollmacht. Meinen Sie, er wird dazu imstande sein?«
    »Ich werde sehen, was ich tun kann.«
    Er tat eine Menge. Simeon, dessen Anblick dem Anwalt einen unwillkürlichen Schreckensschrei entlockte, fragte nicht, warum er etwas unterschreiben sollte, und auch nicht, was er unterschrieb. Zweimal während der kurzen Amtshandlung sprang er auf und erbrach sich heftig. Danach war er so erschöpft, dass er am Tisch sitzend einschlief.
    Dr. Ascher war sichtlich erschüttert, als er das Zimmer des Kranken verließ. »Gott soll schützen! Gott soll schützen!«, murmelte er ein ums andere Mal vor sich hin. »Der Unglückliche! Was für eine teuflische Tat!« Dann riss er sich zusammen und war wieder ganz Anwalt. »Wenn sein Zustand bekannt wird, bekommen wir Schwierigkeiten. Ich werde mich sofort darum kümmern.«
    In den nächsten drei Wochen herrschte rege Geschäftigkeit bei den Anwälten und Bankiers. Dr. Ascher trieb zwei angesehene Ärzte auf, die für gutes Geld bestätigten, dass Simeon zwar unter einer sehr heftigen körperlichen Unpässlichkeit litte, wahrscheinlich einer Lebensmittelvergiftung, wie sie häufig vorkamen – dass er jedoch durchaus geschäftsfähig sei. Also konnte er eine gültige Unterschrift unter die Verträge für den Verkauf der drei Plantagen an die Königlich-Niederländische Bank setzen. Ebenso gültig war seine Unterschrift unter die Vollmacht für Dr. Ascher. Die Bank übernahm die gesamte Kaffeefirma und eröffnete dafür ein gewaltiges Depot in Wertpapieren und Bargeld. Die Verwaltung und Verrechnung lag in den Händen von Dr. Ascher.
    Anfang Oktober, als die ersten Gewitter der Regenzeit das Land erschütterten, waren sämtliche Geschäfte unter Dach und Fach. Der kleine jüdische Anwalt war rastlos tätig gewesen. Anna Lisa konnte nur staunen, was er in kurzer Zeit alles bewältigt hatte. Wie es schien, ließ er alle andere Arbeit liegen und widmete sich nur dem Fall Vanderheyden. Ihr Gefühl hatte sie nicht getrogen. Bei einem seiner nächsten Besuche machte er ihr ein Geständnis.
    »Ich tue alles für Sie, Frau Vanderheyden, und habe nur die Bitte, dass Sie auch etwas für mich tun.«
    »Und das wäre?«
    »Ich möchte hier nicht bleiben. Es läuft zwar alles sehr gut, geschäftlich, meine ich, und das Land und die Leute haben viele Vorzüge, aber ich habe ganz einfach Heimweh. Deutschland ist nun einmal mein Vaterland, das kann ich keinen Augenblick vergessen. Ich will zurück nach Hamburg. Aber ich kann meine hiesigen Klienten nicht mitnehmen, ich müsste ganz von vorne anfangen, und dazu brauche ich eine gewisse Protektion, wie Sie mir Ihr Herr Vater zweifellos gewähren könnte.«
    Die junge Frau griff impulsiv nach seinen Händen. »Ohne Sie wäre ich verloren gewesen – eine rechtlose Frau in einem fremden Land. Selbstverständlich werde ich alles tun, damit Sie einen neuen Anfang in Hamburg machen können.« Dann fragte sie neugierig: »Sie sehnen sich wirklich dorthin zurück? Ruß, Fischgestank und die schmutzige Elbe?«
    »Ja«, antwortete er einfach.

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