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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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Wirbel da am Hinterkopf! Gewiss wird er hübsche Locken bekommen.«
    Nein, dachte Anna Lisa. Ich bin ganz sicher, dass er glattes Haar haben wird, glatt bis auf diesen Wirbel, der ein Königskind kennzeichnete.
    »Und die Kleine«, schwatzte die Hebamme weiter, während sie ein zweites Bündel herbeibrachte, »ach, sie ist jetzt schon ganz der Vater – die schönen, großen Augen und der weiche Mund!«
    Anna Lisa konnte in dem verkniffenen, hochroten Gesicht des Neugeborenen keine Ähnlichkeit mit Simeon erkennen, sie nahm an, dass die Hebamme jede junge Mutter mit solchem Geplapper zu erfreuen bemüht war. Aber immerhin schien das Mädchen Simeons weichen Charakter geerbt zu haben, denn ganz anders als sein Bruder machte es keine Anstalten, sich der Brust zu bemächtigen. Sie musste es an sich drücken und stupsen, erst dann öffnete es mit einer träumerischen Geste das winzige Mäulchen und trank – sehr zurückhaltend, wie es der Mutter schien, als wollte es nicht mehr nehmen, als ihm zustand.
    Die Hebamme hatte lächelnd zugesehen, wie die Kinder tranken. Sie hatte ihre Arbeit getan und gut getan, Mutter und Kinder waren wohlauf. Dann jedoch erlosch das selbstzufriedene Lächeln. Befangen zu Boden blickend fragte sie: »Sollen wir … wünschen Sie, dass Mijnheer Vanderheyden gerufen wird?«
    »Ja, gewiss. Wenn er … wenn er sich wohl genug fühlt.«
    Die beiden Frauen verschwanden, und Anna Lisa hörte sie draußen wispern. Tuschelten sie nur darüber, wie der geisteskranke Vater auf seine Kinder reagieren würde, oder war ihnen doch eine verdächtige Fremdartigkeit an dem erstgeborenen Knaben aufgefallen? Würde Simeon etwas auffallen? Sie konnte nur hoffen, dass die Nebel, die seinen Verstand verdunkelten, ihn vor dieser Erkenntnis bewahren würden.
    Ein schleppender Schritt wurde draußen hörbar. Dann öffnete Pahti die Tür, und Simeon trat ein, im Hausmantel, auf seinen Stock gestützt. Ein schwaches Lächeln irrlichterte über sein eingefallenes Gesicht. Er hatte sich die ganze Schwangerschaft über auf das Kind gefreut, umso mehr, als er dann erfuhr, dass es zwei Kinder sein würden. Die Geburt hatte ihn dann jedoch mehr geängstigt als die junge Mutter, von bösen Omen und Angstvorstellungen geplagt, war er in tiefe Melancholie verfallen. Jetzt, wo alles gut gegangen war, hatte er Mühe, sich rasch auf die geänderte Situation einzustellen.
    »Meisje!«, sagte er mit heiserer Stimme. »Da sind sie ja! Geht es dir gut?«
    »Sehr gut, Simeon, danke. Komm, sieh sie dir an. Es sind ein erstgeborener Sohn und eine Tochter.«
    Er kam langsam näher und ließ sich mit Pahtis Hilfe auf dem Bettrand nieder. Sein Blick hing an den beiden winzigen Gesichtern. Die Kinder waren satt und schläfrig, sie ruhten in den Armen der Mutter, kaum auszumachen in dem Übermaß an Bändern und Spitze, in dem ihre kleinen Körper versanken.
    Simeon betrachtete sie lange. Dann fragte er: »Der Junge ist der Erstgeborene, sagtest du? Dann soll er Jakob heißen.« Er streckte die lange, blasse Hand aus und legte sie auf das dunkelhaarige Köpfchen. »Und er soll meinen Segen haben wie Jakob in der Bibel.«
    Erst wusste sie nicht, was er damit meinte. Dann fiel es ihr siedend heiß ein, das Blut schoss ihr in die Wangen, und einen Augenblick lang überwältigte sie eine solche Schwäche, dass sie beinahe die Kinder losgelassen hätte und in sich zusammengesunken wäre. Jakob, der Betrüger, Jakob, der Sohn des blinden alten Isaak, der sich den Segen seines Vaters erschlichen hatte!
    Simeon wusste Bescheid – hatte immer schon Bescheid gewusst.
    Sie brach in verzweifelte Tränen aus.
    »Du brauchst nicht zu weinen, Meisje«, tröstete er sie mit diesem selben geisterhaften Lächeln. »Es ist dein Kind, auch wenn es nicht meines ist, und sein Vater war ein edler Mann.«
    »Wie … hast du es erfahren?«, fragte sie. »Hat Fräulein Bertram …«
    »Ich spürte es einfach. Du warst so … vollgesogen von ihm. Und als wir dann miteinander ins Bett gingen, habe ich gespürt, dass ein anderer vor mir bei dir gewesen war. Als ich dann im Wäschekorb nachgesehen habe, fand ich dein blutiges Nachthemd.«
    »Und du hast nichts gesagt?«
    Er saß mit gesenktem Kopf da und schwieg lange. Endlich sagte er: »Du warst so glücklich gewesen mit ihm. Und in der nächsten Nacht warst du glücklich mit mir. Das konnte ich nicht zerstören. Freilich, in den nächsten Tagen dachte ich darüber nach, dass wir in dem Haus nicht mehr

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