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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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stammte und ihm unverkennbar ähnlich sah? Das würde Simeon den Todesstoß versetzen.
    Von Schuldgefühlen gequält, suchte sie das Unheil wiedergutzumachen, indem sie ihrem Mann alle Liebe entgegenbrachte, zu der sie nur fähig war. Mittlerweile schritt ihre Schwangerschaft fort, und damit wuchs ihre Angst vor der Geburt. Zu einem kleinen Teil war es einfach die Angst aller Erstgebärenden vor dem noch unbekannten Ereignis, um das sich so viele Altweiberfabeln rankten, aber vor allem quälte sie die Furcht, ein ganz offensichtlich fremdartiges Kind zur Welt zu bringen. Sie weinte bei dem Gedanken, und doch wäre es ihr nie in den Sinn gekommen, ihr kurzes Zusammensein mit Herrn Raharjo zu verwünschen. Wäre sie allein gewesen, mit welcher Freude hätte sie sein Kind zur Welt gebracht! Aber wie konnte sie Simeon inmitten seines Elends so bitterlich kränken?
    Der einheimische Teil des Haushalts litt unter anderen Ängsten. Eine Frau, deren Niederkunft nahe war, lockte den blutgierigen Unhold an, die Penanggalan, den Fluch aller Gebärenden und Neugeborenen. Sie erschien als ein Frauenkopf ohne Körper, der nachts durch die Luft flog und dabei seine Eingeweide hinter sich herschleifte, wobei diese Innereien wie Glühwürmchen funkelten. Sie landete auf Hausdächern und streckte eine lange, unsichtbare Zunge ins Haus. Wem sie das Blut aussaugte – dabei hatte sie es vor allem auf Mütter neugeborener Kinder abgesehen –, der starb an einer zehrenden Krankheit. Wer das Pech hatte, von den durch die Luft schwingenden Eingeweiden berührt zu werden, litt lange unter schmerzhaften Geschwüren. Bereits im Februar, als es noch etliche Wochen bis zur Geburt dauern würde, ordnete Herr Setiawan an, Mengkuangblätter auf die Veranden zu streuen und die Zweige in die Fenstergitter zu stecken. Die stacheligen Blätter machten der Unholdin Angst, denn an ihnen konnte sie ihre nachschleifenden Därme verletzen, und so hielt sie sich fern von Häusern, die der Mengkuang schützte.

Jakob und Simone
    I m Lauf der Schwangerschaft war Anna Lisa bewusst geworden, dass das Kind in ihrem Bauch ungewöhnlich groß und schwer zu sein schien. Dr. Liao war der Meinung, sie würde wohl Zwillinge bekommen, und er behielt recht.
    Die Ängste vor einer schmerzhaften Geburt waren unnötig gewesen. Es ging ganz leicht. Ein paar Unterleibskrämpfe wie damals, in ihrer frühen Kindheit, als sie sich an reifen Quitten überessen hatte, ein, zwei, drei heftige Presswehen, und schon fühlte sie, wie der Kopf des Kindes ans Licht glitt. Die Hebamme – eine von Herrn Zeebrugge geschickte Holländerin – hatte es kaum abgenabelt, als auch schon ein zweites nachdrängte.
    »Aaaaah! Diesmal tut’s weh!«, rief die Mutter aus.
    »Das erste war sehr klein, Frau Vanderheyden, deshalb ging es so leicht. Aber gleich haben wir auch das zweite! Pressen! Und noch einmal!«
    »Aaaah!« Aber da war es auch schon vorbei. Das zweite Kind war geboren.
    Anna Lisa sank erschöpft in die Kissen zurück, während die Hebamme und Gesine eifrig damit beschäftigt waren, das zweite Kind abzunabeln und das erste – das jetzt Luft holte und einen durchdringenden Schrei, ähnlich dem Krähen eines jungen Hahnes, von sich gab – zu waschen und zu wickeln.
    »Was ist es?«, fragte sie. »Ich meine, was sind sie?«
    »Das erste ist ein Knabe, das zweite ein Mädchen.« Die Hebamme lachte. »So können wir sie wenigstens nicht verwechseln. Zwei Knaben wären zwei Erben gewesen, da gibt es bei Zwillingen oft Ärger, welcher nun wirklich als Erster zur Welt kam. Hier, nehmen Sie ihn.«
    Anna Lisa ließ sich das immer noch lauthals schreiende Bündel in den Arm legen und blickte in das kleine, vor Anstrengung verkniffene Gesicht. Ein Stöhnen der Erleichterung entrang sich ihr, als sie sah, dass es weiße Haut hatte. Das Neugeborene war sehr zart, wie die Hebamme gesagt hatte, aber in dem fragilen Körper schien ein unbändiger Geist zu wohnen, denn kaum hatte sie es an die Brust gelegt, schnappte es auch schon zu wie ein kleines Raubtier und begann, aus Leibeskräften zu saugen. Es war außerdem ein sehr haariges Kind.
    »Es sieht aus wie ein braunes Äffchen«, klagte Anna Lisa. »Meinen Sie, es wird einmal ein zotteliger Mann?«
    »O nein, Frau Vanderheyden. Das kommt bei Neugeborenen oft vor, dass sie ein Pelzchen haben, aber dieses Körperhaar fällt bald wieder aus und bleibt nur am Kopf. Er wird einmal schönes dichtes Haar haben – sehen Sie nur, der doppelte

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