Die Traenen des Mangrovenbaums
zusammenbleiben konnten … Aber das war ja dann nicht mehr nötig.«
Es kam aus tiefstem Herzen, als sie flüsterte: »Ich bin so froh, dass du an dem Nachmittag, als er getötet wurde, bei mir im Garten warst. Ich hätte sonst immer daran denken müssen …«
»… dass vielleicht ich es war, der ihn erschossen hat?« Simeon schüttelte den Kopf, sein geisterhaftes Lächeln auf den bleichen, verschrumpften Lippen in dieser überraschend luziden Stunde. »Nein, Meisje, das hätte ich nicht getan. Und nun lass uns niemals wieder darüber reden. Ich werde Jakob immer als meinen Sohn anerkennen. Aber lass mir das Mädchen, denn das ist ganz meines.« Er streckte die Hände aus. Anna Lisa zögerte, ihm das Kind zu geben; er war so schwach, dass sie fürchtete, er würde es fallen lassen, aber da war schon Pahti an seiner Seite und stützte ihn. Simeon nahm das kleine Mädchen in den Arm und liebkoste ihm mit einem ausgestreckten Finger die winzige Wange. »Wir wollen sie Simone nennen, nach mir«, sagte er. »Gefällt dir der Name?«
Anna Lisa nickte unter Tränen.
Zwei Jahre vergingen. Die Kinder wuchsen heran, umsorgt vom gesamten Haushalt unter Herrn Setiawans Oberaufsicht. Anna Lisa war insgeheim erleichtert darüber, obwohl sie gelegentlich murrte, sie dürfte ihre eigenen Kinder kaum anfassen – ständig war irgendjemand zur Stelle, und was sie eben hatte tun wollen, war schon getan: das Bad gerichtet, die Kleider angezogen, das Essen serviert. Sie fragte sich manchmal, ob Setiawan einen Verdacht hegte oder sogar Bescheid wusste, so offensichtlich behandelte er Jakob wie einen kleinen Prinzen. Aber was immer der Hauswart dachte, er fasste es nicht in Worte.
Was die holländische gemeenschap anging, so war es ein für das junge Ehepaar Vanderheyden sehr glücklicher Umstand, dass niemand auf den Gedanken kam, Zwillinge könnten zwei verschiedene Väter haben, und Jakob sah seiner Mutter hinreichend ähnlich, um keinen offensichtlichen Verdacht zu erwecken. Nur die doppelte Haarlocke und die Perlenzähne hatte er von seinem Vater, was das Äußere anging – dessen Wesen hingegen hatte er zur Gänze geerbt. Als wüsste er, dass der Mann, den er Vater nannte, nicht sein Vater war, begegnete er ihm mit einer eigentümlichen Kühle, und Simeon drängte sich nicht dazu, von ihm geliebt zu werden.
Mit der kleinen Simone war es ganz anders. Die war vom ersten Tag an ihres Vaters Liebling gewesen. Kaum war sie den Windeln entwachsen, strebte sie ständig zu ihm, wie ein Eisenstück von einem Magneten angezogen wird. Anna Lisa erschien es manchmal fast unheimlich, wie das Mädchen an seinem Vater hing. Aber Simeon war glücklich, und dieses Glück trug dazu bei, dass er sich allmählich erholte. Er führte ein sorgloses Leben, um seine Geschäfte kümmerten sich sein Anwalt und sein Schwiegervater, für alle häuslichen Angelegenheiten sorgte Herr Setiawan mit seiner Schar von Dienern und Mägden; er hatte nichts weiter zu tun, als ganz seiner Leidenschaft für Blumen und sein kleines Mädchen zu leben.
Selbst als Simeons Zustand sich unter den kundigen Händen des chinesischen Arztes allmählich so weit besserte, dass die Anfälle seltener wurden und er hauptsächlich unter seiner allgemeinen Hinfälligkeit litt, kümmerte der Kräuterdoktor sich weiter um ihn. Teils war es Freundschaft, teils Interesse an dem ungewöhnlichen Fall, teils aber auch Dankbarkeit für ein wahrhaft fürstliches Honorar: Simeon hatte arrangiert, dass von den beiden handgemalten Seiten des Zauberbuchs aus der Schatzkammer Rudolfs II. eine an den Adhipati ging, die andere an Dr. Liao. Beide wussten vollauf zu würdigen, welches außergewöhnliche Geschenk ihnen zuteilwurde. Der greise Fürst prahlte vor allen seinen Freunden damit, und der Arzt und sein Patient verbrachten viele Stunden, wenn Simeon bei klarem Verstand war, grübelnd über dem seltsamen Manuskript und suchten sein Geheimnis zu entschlüsseln – eine Beschäftigung, die ihnen nie langweilig wurde.
Allein unter Einheimischen – wenn man von Herrn Zeebrugge absah – und ohne jeden Kontakt zu der vornehmen Gesellschaft von Weltevreden und Koningsplein begannen die Vanderheydens, sich mehr und mehr ihrer Umgebung anzupassen. Die Kinder lebten ohnehin ganz nach javanischer Lebensart, und die Eltern kümmerten sich bald nicht mehr darum, sie europäisch zu kleiden. Anna Lisa legte nur Wert darauf, dass sie mit Simeon Holländisch und mit ihr Deutsch sprechen lernten.
Weitere Kostenlose Bücher