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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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»Es ist mein Vaterland. Und wie schön es auch hier in Java sein mag, ich habe hier keine Wurzeln.« Mit einem leicht verlegenen Seitenblick fügte er dann hinzu: »Außerdem finde ich, dass es für mich an der Zeit ist zu heiraten, und die Auswahl an geeigneten Mädchen in Deutschland ist größer.«
    Anna Lisa telegrafierte auf der Stelle an ihren Vater. Dem alten Lobrecht war es nicht unwillkommen, dass er den Mann unter seine Fittiche nehmen sollte, dem eine Vollmacht seines Schwiegersohnes die Verfügungsgewalt über dessen Vermögen gab. Zu seinen Söhnen sagte er: »Es gibt eine alte chinesische Weisheit, die besagt: Lade alle deine Feinde an deinen Hof und bewirte sie festlich. Ich habe zwar keinen Anlass zu glauben, dass der Bursche unehrlich ist, aber es geht hier um sehr viel Geld, und da sehe ich ihm lieber auf die Finger.«
    Er meldete also sehr herzlich zurück, dass er gerne bereit sei, Herrn Dr. Ascher einen neuen Anfang in Hamburg zu ermöglichen, vorausgesetzt, dieser erhob keine Einwände, wenn Elmer Lobrecht sich zum vorläufigen Vormund seines kranken Schwiegersohnes ernennen ließ. Sobald Simeon wieder völlig gesund war, konnte man ja alles neu regeln.
    Das Telegramm schloss mit einem Nachtrag, in dem Anna Lisa die Frage gestellt wurde: »Wann kommst du zurück? Wir erwarten dich.«
    Auch Dr. Ascher stellte ihr diese Frage. »Da jetzt alles Geschäftliche geregelt ist und Sie Ihren Gatten beruhigt in die Obsorge Ihrer Familie geben können, werden Sie wohl mit dem nächsten Schiff zurückfahren? Vielleicht reisen wir gemeinsam?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich reise nicht. Und bevor Sie hier Ihre Zelte abbrechen, müssen Sie noch etwas für mich arrangieren. Ich möchte gerne etwas kaufen, wenn es verkäuflich ist. Fragen Sie den Adhipati, ob er mir das Rosenhaus überlässt. Sein Enkel hat es mir seinerzeit angeboten, und nirgends war ich so glücklich wie dort.«
    Der Anwalt machte ein überraschtes Gesicht, aber es war ihm schon lange zur Gewohnheit geworden, sich grundsätzlich nur um die juristische Seite der Anliegen seiner Klienten zu kümmern. Er leitete alles Nötige in die Wege, und wenig später erschien bei Anna Lisa ein Bote des Adhipati, der eine feierliche Botschaft des alten Fürsten überbrachte. Er überließ ihr das Rosenhaus mit allem Drum und Dran quasi als Lehen unter der Bedingung, dass sie nichts daran veränderte und es an seine Familie zurückgab, wenn sie es eines Tages nicht mehr haben wollte. Die junge Frau wusste, dass diese großzügige Geste des alten Fürsten auch dadurch zu erklären war, dass Europäer und Javaner in den höheren Kreisen einander aus gesellschaftstaktischen Gründen zumindest vordergründig zuvorkommend begegneten; außerdem zeigte der alte Mann damit, wie wenig Geld und Gut bei seinem immensen Reichtum bedeuteten. Aber sie freute sich doch. Sie wusste, wie sehr er Raharjo geliebt hatte und dass das Rosenhaus etwas Besonderes für ihn war.
    Dr. Liao hatte seine ganze Kunst aufgeboten, Simeon zu helfen. Zwar hatte auch er kein Mittel gefunden, das Rangdas Zunge aus dem Körper vertrieb, aber immerhin eines, das die grauenvollen Visionen milderte und zugleich den Körper stärkte. Stolz erschien er mit einer samtgefütterten Schatulle, in der in Lederschlaufen kleinfingerlange, sorgfältig verstöpselte Phiolen steckten. Das waren die Mittel, die anzuwenden waren, wenn den Kranken seine Halluzinationen überfielen; daneben brachte er noch verschiedene Stärkungsmittel. Er nahm keinen Anstoß an der Vorliebe, die Simeon inzwischen für die indischen Zigaretten gefasst hatte, sondern empfahl sie sogar. Anna Lisa hatte ihre Zweifel, ob die giftige Tabakmischung das Richtige für einen todkranken Mann war, aber nie hätte sie gewagt, Dr. Liao zu widersprechen, und Simeon selbst ließ ohnehin nicht die geringste Kritik an dem Mann zu, der ihm das Leben gerettet hatte.
    Die Regenzeit, die im Oktober begann, war für europäische Begriffe mörderisch, und dennoch hatte Anna Lisa den Eindruck, dass es Simeon ein wenig besser ging, seit er das chinesische Heilmittel einnahm. Er schrie nicht mehr so oft, und die wilden Angstzustände, in denen er sich von allen um ihn bedroht fühlte, ließen nach, obwohl er seine Umgebung immer noch mit Argwohn beobachtete. Sie war dankbar für jede Minute, in der er ruhig lag und ihn keiner dieser entsetzlichen Anfälle schüttelte. Nur hin und wieder schauderte er, wie von einem plötzlichen Frost

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