Die Traenen des Mangrovenbaums
der Weg erwies sich als weitaus schwieriger als gedacht. Helle Angst packte die Männer, als sie entdeckten, dass sich ihnen unerwartete Hindernisse in den Weg stellten. Heißfeuchte Nebelschwaden verhüllten den Pfad wie der Dampf einer Waschküche. Die kühlen, von Wasserlinsen bedeckten Tümpel links und rechts des Weges hatten sich in brodelnde Schlammkuhlen verwandelt, aus denen Fontänen siedenden Dampfes in die Höhe schossen. Immer wieder mussten sie, im Nebel herumirrend, beiseitespringen, um nicht verbrüht zu werden. Und dann hatten sie endlich den im heißen, schmutzigen Dampf erstickenden Regenwald hinter sich gelassen! Aufatmend flohen sie über den flachen, kiesbedeckten Strand. Schon sahen sie das Boot vor Anker liegen. Da gähnte es wie ein Höllenabgrund vor ihnen: quer über den Strand brach der Boden auseinander, öffnete sich zu einem Spalt, dann zu einer Kluft, und aus der Tiefe empor fuhren wie ein breiter, leuchtender Vorhang Fontänen aus flüssiger Lava, umhüllt von Wolken schweflig stinkenden Qualms. Die Männer stürmten auf den noch unbeschädigten Teil des Strandes zu, vor dem Spalt fliehend, der wie eine feurige Wunde immer weiter aufriss, aber die Kräfte drohten sie zu verlassen, als Rauch und giftige Gase in ihre Lungen drangen. Schwankend, einer den anderen stützend, erreichten sie mit letzter Kraft ihr Boot und setzten die Segel.
Aber nun bedrohte sie eine neue Gefahr. Die Eruptionen setzten sich unter Wasser fort, und wo der Lava sprühende Abgrund auf dem Meeresboden aufriss, schäumte das Meer weiß wie kochende Milch, und turmhohe Wasserhosen schossen in die Höhe. Die Explosionen, die den Boden erschütterten, rollten eine gewaltige Welle von der Insel her. Die Nussschale der Holzfäller wurde hochgehoben und herumgeschleudert, dass sie jeden Augenblick fürchten mussten, zerschmettert zu werden. »Orang Alijeh!«, klagten die verzweifelten Männer, den Gott der Berge um Hilfe anrufend. »Orang Alijeh!« Und ihre Gebete wurden erhört: Es blieb bei einer einzigen Flutwelle. Das Meer beruhigte sich rasch wieder und verlor bald auch seine abstoßend käsige Farbe. Aber auf der Insel war die Hölle ausgebrochen. Als die verstörten Holzfäller sich nach dem Ort des Schreckens umwandten, sahen sie, dass die Nordseite des längst erloschen geglaubten Vulkans vollständig in Schmauch gehüllt war. Aus dem Rakata-Schlot sprühte feuerflüssige Lava in dicken Tropfen. Von Zeit zu Zeit fuhren mit lautem Knall wie Feuerwerkskörper Flammenkugeln aus dem Schlot, die zerplatzten und auf den Wald niederregneten. So heiß war der Lavaregen, dass die dampfend feuchte Vegetation Feuer fing und große Flecken des graugrünen Urwalds lichterloh brannten.
Den Mannschaften der Schiffe, die an diesem heißen, wolkenlosen Vormittag in der Sundastraße unterwegs waren, bot sich ein geisterhafter Anblick. Im Gegensatz zu den Holzfällern im Zwielicht des Dschungels hatten sie die Erscheinung gesehen, die dem ersten Knall vorausging: Kein Grollen, keine Detonation war zu hören, in völliger Lautlosigkeit fuhr eine gleißende Dampfsäule wie aus einer Kanone geschossen aus dem Krater hervor und stieg hoch in den Himmel, wo sie sich wie ein Schirm auszubreiten begann, Blumenkohl ähnliche Sprossen nach allen Seiten austreibend. Dabei wurde sie von ihrem Zentrum her zusehends dunkler, der weiße Dampf wandelte sich in schwarzen Qualm, und ein übler Geruch nach Brand und Schwefel begann, sich auszubreiten. Der Ausstoß aus dem Schlot ähnelte jetzt einer monströsen Gewitterwolke, die sich immer mächtiger über dem Gipfel auftürmte, während in ihrem Inneren Blitze zuckten. Der gesamte Himmel verdunkelte sich, und jetzt wurden auch Geräusche laut, erst ein scharfes Prasseln wie von Hagelkörnern auf Stein, dann plötzlich ein ohrenbetäubendes Kreischen und Krachen. Wolken von Asche und Schwefelstaub senkten sich über das Wasser, die immer dichter wurden, bis sämtliche Schiffe in ihrer Reichweite von einer gleichmäßigen, grauen Staubschicht bedeckt waren. Binnen kurzer Zeit ähnelten die im Halbdunkel treibenden Fahrzeuge einer Flotte von Geisterschiffen. Wie dichter Nebel hing es über Brücke und Deck. An Bord war alles – die Schiffswand, die Planken, die gesamten Masten, ja sogar einige innere Teile – gleichmäßig mit einem missfarbenen, zäh anhaftenden Staub bedeckt. Er legte sich so dick und schwer auf die Segel, dass sie erschlafften. Loderndes Zentrum dieser unnatürlichen
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