Die Traenen des Mangrovenbaums
Dunkelheit am hellen Tag war der Rakata-Schlot, aus dem immer neue Lichter emporschossen und kurzfristig Feuerhelle in das Dunkel brachten. Alles rundum lag in dicken, stinkenden Nebel gehüllt. Die entsetzten Seeleute starrten in ein Bild von Dunkelheit, Flammen, Ascheregen, fliegenden Feuerschweifen und auf den Wellen tanzenden Platten schwimmenden Bimssteins. So mancher fühlte sich an das schreckliche Bild in der Bibel erinnert, das den Untergang von Sodom und Gomorrha beschrieb, und nicht wenige erwarteten ein baldiges Ende für ihre Schiffe und sich selbst.
In den nächsten Stunden beruhigte sich die Lage jedoch erstaunlich rasch wieder. Der Wind blies die Asche fort, die schwarze Wolke löste sich auf, das Tageslicht kehrte zurück. Aktiv war der Vulkan freilich noch immer. Aus seinen drei grummelnden, Rauch aushauchenden Schloten pufften in Abständen kleine Lavafontänen. Immer wieder wirbelte die heiße Luft schmutzig braunen Qualm über dem Gipfel Rakata auf.
Die Eruption erregte einige Aufmerksamkeit in den Städten an der südlichen Mündung der Sundastraße, aber da nichts weiter passiert war, als dass die Skipper ihre verdreckten Schiffe von Bug bis Heck putzen mussten, wurde sie als harmloser Zwischenfall eingestuft. Schließlich war eine unbewohnte, winzige Insel kein Verlust, den man nicht hätte verschmerzen können. Gewiefte Geschäftsleute machten sogar eine Touristenattraktion daraus. Im Java-Bode war die großflächige Annonce zu lesen:
Abenteuerfahrt zum Feuerberg!
Beobachten Sie vom Deck des Ausflugsschiffes Loudon
aus das beeindruckende Schauspiel des Feuer speienden Krakatau!
Nur 25 Gulden pro Person, Kinder die Hälfte!
Anna Lisa las den Bericht in der Zeitung, aber auch sie maß ihm weiter keine Bedeutung zu. Der Blaaskaak jenseits des Tales spuckte alle naselang, sein Grummeln und Murren war die monotone Hintergrundmusik ihres täglichen Lebens, und wenn der Ausbruch des Krakatau auch weit spektakulärer war, hatte er doch auf einer menschenleeren und völlig unbedeutenden Insel stattgefunden. Natürlich sprach sie mit Edgar Zeebrugge darüber, der ein häufiger Gast im Rosenhaus war, und der Holländer machte eine Bemerkung, es sei etwas Seltsames an diesem Ausbruch. »Dreihundert Jahre lang war der Krakatau so harmlos wie eine tote Kuh, und jetzt schleudert er plötzlich Feuer … Man kann diesen Vulkanen nie trauen. Wer weiß, was der Mistkerl noch alles vorhat.«
Danach geschah nichts weiter bis zum Samstag, dem 25.August 1883. Man gewöhnte sich daran, dass der neu erwachte Vulkan Tag und Nacht vor sich hin grollte, einmal mehr, einmal weniger heftig, ohne dass irgendetwas Ernsthaftes passiert wäre. Ein Vulkan mehr oder weniger machte in dem aus Feuer geborenen Land keinen Unterschied. Aber an diesem Tag wurde das Murmeln allmählich zu einem erst leisen, dann ständig anschwellenden Rumpeln, ähnlich dem Geräusch, das über eine Treppe kollernde Steine verursachen. Die ersten Schiffe in der Sundastraße begannen, einander mit Flaggen zu signalisieren, dass etwas Ungewöhnliches vor sich gehe und Vorsicht beim Passieren von Pulau Krakatau angebracht sei. In den Städten an der Küste und auf den hoch gelegenen Reisfeldern hielten Menschen in ihrer Beschäftigung inne und blickten zu der von Rauch umhüllten Insel inmitten der Meerenge hinüber. Dann fesselte eine dumpfe Explosion die allgemeine Aufmerksamkeit, die um vieles heftiger ausfiel als ihre Vorgänger. Der Boden an der Küste zitterte unter Erschütterungen, die wellenförmig von Pulau Krakatau ausgingen. Bauern ließen ihre Gespanne im Stich, Händler ihre Marktstände, Angestellte ihre Büros, als das milchweiß schäumende Meer sich ans Land stürzte. Der Rakata-Schlot erbebte, wie aus einem Kanonenrohr schoss eine Riesenfackel aus Gas und weiß glühendem Gestein, Feuer und Qualm senkrecht in die Höhe, bis sie von den Passatwinden niedergedrückt wurde und nach allen Seiten zu einem wabernden Schirm ausuferte. Glühende Lava regnete in eine milchweiße See, rann zähflüssig, rot leuchtend über die verbrannten Seiten des Rakata-Gipfels herunter, verzweigte sich zu Rinnsalen und träufelte schließlich ins Meer. Dessen Fluten empörten sich zischend, gewannen aber rasch die Oberhand, die tödliche Glut verwandelte sich in einen Saum erstarrten schwarzen Gesteins, der die Insel um einige Dutzend Meter vergrößerte. Wiederum kehrte Ruhe ein, nachdem die Magmakammer sich entleert und den Überdruck abgelassen
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