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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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Auch das junge Ehepaar selbst wurde immer nachlässiger, was »zivilisiertes« Verhalten anging. Simeon trug tagein, tagaus einen losen Seidenanzug nach Art der Einheimischen und darüber seinen Hausmantel. Anna Lisa gefielen die Sarongs, aber sie konnte sich nicht daran gewöhnen, sich in dem eng um den Körper gewickelten Schlauch graziös zu bewegen, also ließ sie sich Kleider nach ihren eigenen Entwürfen schneidern. Knöchellange Kleider, leicht und luftig, weit und bequem. Sie waren auch aus dem im Lande hergestellten Tuch gefertigt, dessen kunstvolle Batiken das Auge fesselten.
    Das skandalöse Verhalten der Vanderheydens war das Hauptgesprächsthema bei vielen Kaffeekränzchen und Herrenabenden, ja, einmal war es sogar Thema einer Predigt über das Sprichwort, wie schlechte Beispiele gute Sitten verderben. Letztendlich schuld an allem, darin war man sich einig, war Edgar Zeebrugge, der hatte die beiden einfältigen jungen Leute hineingelockt in den Strudel des Verderbens, sodass sie ihre Kinder halbnackt herumlaufen ließen und selber kaum besser als Wilde lebten. Es gab einige Leute, die aus echter Sorge, und andere, die aus Vergnügen an Klatsch und Tratsch an Elmer Lobrecht schrieben und ihn darauf aufmerksam machten, dass seine Tochter unter dem verderblichen Einfluss des Verräters mit den Einheimischen Umgang pflegte, als wären sie ihresgleichen.
    Der Reeder ließ diese Briefe unbeantwortet. Er fand, dass er zwar in geschäftlichen Dingen als Simeons Vormund eingesetzt war, dass ihn dessen häusliche Angelegenheiten aber nichts angingen. Ein Mann mochte verrückt sein oder nicht, er war immer noch Herr im eigenen Haus. Gewiss, hätte er sich in Hamburg so auffallend missverhalten, so hätte er ihn zu einem Gespräch unter vier Augen gebeten, aber im Dschungel von Java? Solange er mit seinem exzentrischen Lebenswandel kein Geld verschwendete, sah der Schwiegervater keinen Anlass zum Einschreiten. Und die Vanderheydens lebten sehr bescheiden, das musste man zugeben.
    Dass dieses sorglose Leben unterbrochen wurde, hatte seine Ursache in einem Naturereignis, mit dem niemand gerechnet hatte.

Der Ausbruch des Krakatau
    D ie Katastrophe, die Ende August 1883 die ganze Welt erschüttern sollte, kündigte sich schon Monate vorher durch allerlei Anzeichen an, aber niemand nahm diese Anzeichen ernst. Vulkanausbrüche gehörten in Java zum Alltag. Und der erste Ausbruch am 20.Mai betraf eine völlig unbedeutende, unbewohnte kleine Insel am südlichen Ende der Sundastraße. Sie wurde Pulau Krakatau genannt. Ein populäres Reisetagebuch tat sie mit wenigen Worten ab:
Sie liegt bei 105° 27’ östlicher Länge und 6° 7’ südlicher Breite und ist ein kaum bewohntes, dicht von üppigen Regenwäldern überzogenes Eiland, von dem die drei Vulkangipfel des Berges Krakatau aufragen. Sie werden Perboewatan, Danan und Rakata genannt. Letzterer liegt am südlichen Ende und bildet den höchsten Punkt und das am weitesten sichtbare Kennzeichen der rautenförmigen Insel, die auf ihrer Nord-Süd-Achse knapp zehn Meilen und an ihrer breitesten Stelle im Süden etwas über drei Meilen misst. Der Krakatau ist heute längst friedlich und höchstwahrscheinlich völlig erloschen. Die Javaner halten diesen Winkel ihrer Inseln für äußerst ruhig, ganz zum Unterschied von der heftigeren seismischen Aktivität, die in der Nähe von Bergen wie Bromo, Merapi oder Merbau alltäglich ist.
    An diesem Morgen im Mai 1883 waren drei einheimische Männer in einem Boot auf die Insel gekommen, um im reichen, fast unberührten Regenwald von Pulau Krakatau Holz für ein neues Boot zu sammeln. Sie waren bereits mehrere Stunden eifrig am Werk gewesen, hatten einen hohen Baum gefällt, die Äste abgesägt und eben begonnen, den Stamm zu zerkleinern, als der bis dahin ruhige und sonnige Tag eine erschreckende Verwandlung durchmachte. Urplötzlich, binnen weniger Minuten, verschwand die Sonne hinter schmutzig grauen Wolkenballen, wie die Vorboten eines aufziehenden Gewitters türmten sie sich auf. Ein heißer Wind blies über die bis dahin windstille Insel und trieb mit Funken durchsetzten Ruß vor sich her. Glühendheiße Partikel setzten sich auf der Haut der Männer ab, die mit bloßem Oberkörper und nackten Beinen gearbeitet hatten, sodass sie aufschrien. In Panik ergriffen sie die Flucht von dem so unheimlich verwandelten Ort, dachten nur noch daran, ihr Boot zu erreichen und zu der Insel Sebesi, von der sie stammten, zurückzukehren.
    Aber

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