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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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hatte. Diesmal, so schien es, hatte der Feuerberg sich erschöpft. Man kehrte zu seinen alltäglichen Beschäftigungen zurück.
    Aber die feurigen Fluten im Inneren der Erde brodelten weiter. Das Unheil hatte erst seinen Anfang genommen.
    Bis zum frühen Nachmittag war der Sonntag, der 26.August 1883, ein freundlicher Tag – warm, trocken und windstill, das Meer ruhig und der Himmel klar. Der Krakatau brummelte wie ein schlafendes Tier vor sich hin und hustete gelegentlich schmutzigen Qualm in den Himmel. Dann, kurz nach dem Mittagessen, wachte der Feuerberg auf. Kolonialherren und Einheimische wurden aus ihren Mittagsschläfchen geschreckt, als von Pulau Krakatau ein anhaltendes dumpfes Donnern ertönte wie der wuchtige Klang einer Kelang-Trommel, dem der Lärm einer Explosion folgte. Diesmal stieß der Berg weder Dampf noch Qualm aus, sondern eine Wand aus flüssigem Feuer schoss Tausende Meter hoch in den Himmel und erleuchtete das Meer von Küste zu Küste so grell, dass die Schiffe scharf abgezeichnete Schatten warfen. Die gewaltige elektrische Spannung in der Luft riss den Menschen das Haar zu Berge, Elmsfeuer tanzten auf allen Masten. Die emporschießende Feuerwand stoppte und kehrte als ein Sperrfeuer vom Himmel herabregnender Gesteinsbrocken zurück. Wie Kanonenkugeln schlugen die Feuerbälle ins Meer ein und lösten an den Einschlagstellen aufsprudelnde, zischende Wasserhosen aus. Auch unter Wasser tobte die Erde. Der gesamte Meeresboden am Südende der Meerenge geriet in unkontrollierte Bewegung, und die Schiffe sahen sich Gezeiten ausgesetzt, wie sie noch nie welche erlebt hatten. Der Wasserspiegel stieg und fiel jäh, schwappte auf und nieder, völlig unberechenbar, sodass selbst die Ozeandampfer und Kriegsschiffe auf dem verrücktspielenden Meer taumelten. Noch schlimmer erging es den Booten und kleinen Schiffen im seichten Wasser. Überall in den Häfen der Küstenstädte wurden Fahrzeuge kunterbunt durcheinandergeworfen, manche von Flutwellen bis hinauf auf den Kai getragen und dort abgeworfen, wo sie zerschmettert liegen blieben. Andere krachten gegen Mauern und Piere und sanken, leckgeschlagen, auf den Boden des Hafenbeckens. Marktstände auf den Kais wurden umgerissen und von der jählings hochschwappenden Flut fortgespült. Fischer und Händler rannten, mit den Armen fuchtelnd, am Kai hin und her und suchten verzweifelt, ihre kostbarsten Besitztümer zu retten, mussten aber fliehen, wenn sie nicht selbst von einer der Springfluten ins Meer gerissen werden wollten.
    Wie ein Choleriker, der sich mit jedem Wutausbruch weiter aufheizt, donnerte der Berg zunehmend lauter und heftiger. Das Krachen der rasch aufeinanderfolgenden Detonationen war ohrenbetäubend. Der Schirm aus Qualm breitete sich Hektar um Hektar aus, so dicht, dass bald die tiefe Dämmerung eines Winterabends über der Sundastraße herrschte. Deutlich sichtbar war allein noch ein feurig rotes Leuchten, kreisförmig wie der Schein aus einem Ofenloch, das über dem tobenden Berg hing. Es erhellte nichts außer der Unterseite der Wolken und der Rauchsäule, die aus dem Schlot hervorbrodelte. Durch Nebelqualm und Zwielicht fiel ein feiner, beständiger, lauwarmer Aschenregen und blieb weiß wie Schnee auf Straßen und Feldern liegen.
    So ging es die ganze Nacht lang. Am Montag, dem 27.August, ging die Sonne nicht auf. Das unheimliche Zwielicht blieb bestehen. Dann, um zehn Uhr morgens, erbebten Luft und Erde unter einer ungeheuerlichen Erschütterung, als der Krakatau samt der Insel, auf der er verwurzelt war, wie eine Riesenbombe in die Luft flog. Innerhalb von Minuten verwandelten sich Insel und Berge, Strand und Wälder in ein mehrere Tausend Grad heißes Gemisch aus Gas, siedender Luft, feuerflüssiger Lava und Flammen. Eine Riesenfackel brauste mit achthundert Stundenkilometern über die Küsten von Java und Sumatra und entzündete die Wipfel der Bäume. Bäume und Büsche wurden kahl gerupft, das im glühenden Sturm vergilbte Laub zentnerweise von den Zweigen gerissen. Die Druckwelle walzte die Bäume platt und drückte das Gewirr des Regenwaldes zu einem feuchten Filz zusammen, bügelte ganze Ansiedlungen flach, ehe den Menschen darin noch bewusst wurde, wie ihnen geschah.
    Was nicht in den pyroklastischen Strömen verbrannte, wurde in den Boden gepresst und weggespült – denn der endgültigen Detonation folgte eine gewaltige, dampfende Welle. Aufgewühlt aus den Tiefen des Meeres überschwemmte ein Tsunami das gesamte

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