Die Traenen des Mangrovenbaums
Aufgestört von den unerwarteten Besuchern, schwangen sich ein paar Affen durch das wirre, wie lange Haarflechten herabhängende Luftwurzelgeflecht der Banyan-Bäume und schnatterten misstönend in den Baumkronen. Überall im smaragdgrünen Moos und unter den graugrünen Spinnennetzen der Lianen huschten unsichtbare Tiere herum. An einer Stelle, wo ein Steilhang dem Weg nahe kam, glotzten die bemoosten Steinschädel zweier mythischer Ungeheuer aus den Ruinen einer Mauer heraus.
Sie näherten sich dem verlassenen Haus. Wieder zückte der Weiße die Schlüssel. Der Javaner bedachte ihn mit einem schrägen Lächeln. »Mein Herr! Standen Sie so gut mit dem alten Schurken, dass er Ihnen seinen Schlüsselbund anvertraut hat?«
»Er hat jedenfalls nicht protestiert, als ich die Schlüssel einsteckte.«
»Ja, weil er tot war oder so gut wie tot. Wie haben Sie eigentlich von der Sache erfahren?«
Der Europäer lachte, riss die Augen auf wie ein Käuzchen, drehte die Ohrmuscheln mit den Zeigefingern nach vorne. »Augen auf, Ohren auf, lieber Herr Raharjo. Es gibt Dinge, die kann man einfach nicht verbergen. Aber wir sind uns einig über die Teilung?«
»Vier Fünftel für die Freiheitskämpfer, den Rest für Sie.«
Sie stülpten sich die Kapuzen über den Kopf, zogen die langen Reithandschuhe straff und banden Tücher über Mund und Nase, in deren Falten aromatische Kräuter eingelegt waren. Zwar war zumindest der Europäer überzeugt, dass die Krankheit sich nicht durch die Luft übertrug und auch durch Berührung nur im schmutzigen Wasser, aber Vorsicht schadete nie. Außerdem waren vermummte Gesichter sehr zweckdienlich, wenn sie durch irgendeinen verteufelten Zufall jemand begegnen sollten.
Sie stiegen die hölzerne Treppe hinunter in den Keller, durchquerten die Vorratskammern und betraten einen niedrig gewölbten Raum, der nur Gerümpel enthielt.
»Hier.« Der Europäer deutete auf einen Schrank, der schief auf nur noch drei Knubbelfüßen stand. »Helfen Sie mir, ihn wegzuschieben.«
Der Javaner bedeutete seinem Sklaven, den Schrank zu entfernen. Der Mann stemmte seine von Muskelknoten durchwachsenen Schultern dagegen, und das Möbelstück, das der Kraft zweier Männer widerstanden hätte, rutschte ächzend und knarrend beiseite.
Raharjo pfiff leise, als er in dem Mauerstück, das der Schrank bislang verdeckt hatte, ein eisernes Türchen sah. Der Europäer lachte. Er schob einen der Schlüssel an seinem Bund in das winzige Schlüsselloch, drehte ihn um und zog das Türchen auf. »Bitte sehr!«, sagte er. »Nun rechnen Sie einmal im Kopf aus, wie viele Gewehre für Ihre Leute Sie dafür kaufen können!«
Raharjos schwarze Augen glühten, als er die aufeinandergestapelten Geldbeutel in der Höhlung sah. »Ich fasse es nicht! Wie hat er das alles abgezweigt, ohne dass es jemand bemerkte?«, fragte er. »Das ist ein Vermögen!«
»Denken Sie nicht lange nach, greifen Sie zu. Dongdo wird heute noch schwer zu tragen haben.« Dabei wies er auf den Schwarzen, der bereits die Säcke auf dem Boden ausbreitete.
Nach außen hin hatte der Europäer einen schlechten Handel gemacht. Niemand hätte ihn gehindert, das Gold, von dem er jetzt nur ein Fünftel bekam, zur Gänze für sich zu behalten. Er war dennoch zufrieden. Er wusste, dass Raharjo ihm nicht vergessen würde, was er heute für ihn und seine Männer getan hatte. Und außerdem empfand er eine ganz persönliche Freude bei dem Gedanken, wie viele der verfluchten Kolonialherren den Gewehren zum Opfer fallen würden, die die Rebellen für das Gold des verstorbenen Henry Wolkins kauften.
»God verdom je, Mijnheers!«, flüsterte er auf Holländisch – seiner Muttersprache.
Die tropische Nacht war hereingebrochen, und nur das Licht eines vollen Mondes erhellte den Weg. Es war eine schwere Arbeit gewesen, all das Gold aus dem Haus zu schleppen, auf das Packpferd und auf die behäbige Stute des Europäers zu laden, es dann in ein sicheres Versteck zu schaffen und schließlich in tiefer Nacht heimzukehren in das bescheidene Landhaus, das zu den Gütern des Adhipati von Bandung gehörte. Die beiden Männer waren müde, und ihre Unterhaltung tröpfelte dahin. Allerdings ging Herrn Raharjo etwas im Kopf herum, das er schließlich zögernd in Worte fasste. »Woher hatte Wolkins all das Gold? Er schien mir nicht der Mann zu sein, der seinen Auftraggeber betrügt, im Gegenteil, seine Treue zu dem alten Krämer in Amsterdam war eine seiner wenigen guten
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