Die Traenen des Mangrovenbaums
eigene Kirche in Batavia, aber wenn Dongdo ein Christ war, dann von einer ebenso wunderlichen Art, wie Herr Raharjo ein Mohammedaner war. In der schwülen Hitze der Insel und ihrer langen, von dunklen Träumen erfüllten Vergangenheit begann jeder von außen hereingebrachte Glaube, mochte er noch so klar und rein sein, wie Wachs in einer heißen Sommernacht seine Form zu verlieren; er schmolz in sich zusammen bis zur Unkenntlichkeit und vermischte sich mit den anderen zu Brei zerronnenen Religionen. Buddha, Christus und Mohammed hätten die von ihnen gestifteten Religionen nicht wiedererkannt, wären sie ihnen auf Java begegnet.
»Ja, das glaube ich auch«, stimmte der Jüngling zu. »Und weißt du was? Ich glaube, wir haben heute einen ersten Schritt getan, dem noch weitere folgen werden. Es will mir nicht aus dem Kopf gehen, woher der alte Schurke von einem Engländer so viel Gold hatte. Es waren holländische Gulden, also hat er etwas verkauft. Aber von dem Land fehlt kein Fußbreit, das wüsste ich.«
Dongdos Antwort bestand darin, dass er mit seinem massiven Schädel nickte und eine Art murmelnden Singsang von sich gab, dem keine Worte zu entnehmen waren. Es war nicht seine Aufgabe, den Gedankengängen seines Herrn einen Kommentar hinzuzufügen. Tatsächlich verstand er oft gar nicht, worum es ging; er war ein sehr einfacher, ja einfältiger Mann, dem komplizierte Überlegungen fremd waren. Aber Herr Raharjo, der nicht mit sich selber reden wollte, schätzte ihn als Zuhörer.
»Du kennst doch Bogor, das die Mijnheers Buitenzorg nennen, Dongdo«, fuhr der Jüngling fort, der seinen Sklaven gelegentlich zur Residenz des Generalgouverneurs mitgenommen hatte – freilich nicht bis ins Innere, denn dort hätte das missgestaltete schwarze Geschöpf nur unliebsames Aufsehen erregt. »Weißt du, dass Bogor einst die Hauptstadt des Reiches der Prinzessin von Pajajaran war? Und dass sie viele Landgüter, Jagdschlösser und Sommerpavillons im Umkreis von Batavia hatte? Und dass eines ihrer Landhäuser auf dem Grund und Boden stand, den jetzt Vanderheydens Kaffeeplantage einnimmt?«
Dongdo wiegte sich hin und her, nickte und sang.
Raharjos Stimme flüsterte in der Stille des Schlafgemachs. »Die weißen Schmerbäuche haben ihren Palast zerstört, wie so vieles anderes auch, und ihre Ländereien geplündert. Aber was tun die reichen Leute, mein Freund, wenn Krieg das Land überzieht und sie nicht wissen, welche Seite gewinnen wird? Sie verbergen, was sie haben. Es kann gut sein, dass der Verwalter dieses Landhauses alles, was von Wert war, versteckte … dass er getötet wurde … und niemand mehr herausfand, wo er seine heimliche Schatzkammer angelegt hatte. Das alles ist lange her, Dongdo, die Ereignisse gerieten in Vergessenheit, zurück blieb nur wie ein Schatten das Gerede, auf der Kaffeeplantage sei Gold zu finden.« Er setzte sich mit einem so scharfen Ruck auf, dass Dongdo mitten in der Bewegung stockte und seinen murmelnden Gesang unterbrach. »Ich sage dir: Wolkins hat die Schätze der Prinzessin gefunden und einen kleinen Teil davon zu Geld gemacht, dem Geld, das wir heute gefunden haben!« Leise, mit einem breiten Lächeln fügte er hinzu: »Aber die eigentliche Schatzkammer muss noch da sein, hundert Mal mehr wert – irgendwo auf dem Gelände. Und da er sie gefunden hat, können wir sie auch finden. Aber genug für heute; jetzt wollen wir ruhen.«
Er drehte sich zur Seite und schlief ein, während Dongdo sich auf einer Strohmatte im Winkel des Schlafgemachs zur Ruhe bettete. Eng zusammengerollt, glich er einer knorrigen schwarzen Wurzel, die aus der Mauer herauswuchs. Zwischen seinen Armen und Knien geborgen steckte in der schweren ledernen Scheide sein Dolch, von dem er sich keinen Augenblick lang trennte. Kein eleganter, wie eine züngelnde silberne Flamme geformter javanischer Kris, sondern eine plumpe, mit fremdartigen Zeichen ziselierte Waffe, krumm und scharfschneidig wie der Fang eines Raubtiers. Raharjo konnte in Frieden schlafen. Sein Wächter wich ihm nicht von der Seite.
Der bärtige Europäer, mit Namen Edgar Zeebrugge, ritt im Mondlicht seinem Zuhause entgegen, das auf einer Lichtung im Dschungel stand, umringt von Kretek-Bäumen, Zykadeen und Palmen. Fast hatte er es erreicht – schon sah er die Lampen der Diener durch die Holzgitter schimmern.
»Gleich bist du in deinem gemütlichen Stall, Hepzibah«, ermunterte er seine müde dahintrottende Stute, als sie das Haus bereits passiert
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