Die Traenen des Mangrovenbaums
Tür frei und verkroch sich auf ihrem Lager, beobachtete aber argwöhnisch grollend die Vorgänge.
Der Arzt half, den Patienten auszuziehen, und legte dann um Knie und Knöchel einen Kompressionsverband an. Das verletzte Bein wurde auf zwei dicke Kissen hochgelagert, um ein weiteres Anschwellen zu verhindern. Jede Bewegung schmerzte offenbar heftig, denn Simeon ließ einen holländischen Fluch nach dem anderen hören. Schließlich aber, nachdem der Arzt ihm einen Löffel Opiumtinktur verabreicht hatte, beruhigte er sich. Mit verkniffenem Gesicht lag er still da, blass vor Zorn, Scham und Schmerzen. Pahti eilte in die Küche, um Eisbeutel zu holen.
Elmer Lobrecht gelang es schließlich, die Situation einigermaßen zu retten. Er trieb alle unnötigen Gaffer aus dem Zimmer und ließ den Gästen verkünden, es sei nichts wirklich Schlimmes passiert, der Bräutigam habe sich nur den Knöchel verknackst, sodass er sich vom Tanz entschuldigen müsse. Es bestehe kein Anlass, lange Gesichter zu machen, man solle nur ruhig nach Herzenslust tanzen, trinken und essen. Den Gästen war diese Nachricht sehr willkommen. Bald setzte der Trubel wieder ein, als sei nichts geschehen.
Fernab von Tanz, Gesang, Lärm und Lichtern war Anna Lisa damit beschäftigt, ihren Hochzeitsschmuck abzulegen. Sie tat es allein und ohne Hilfe, denn Mette wollte sie in dieser unangenehmen Situation nicht um sich haben, und Fräulein Bertram würde ihren Dienst erst am nächsten Tag antreten. Pahti, so dachte sie, war ein Segen. Lautlos wie eine Fledermaus huschte er durchs Zimmer, beschwichtigte die nervös brummende Tietjens, wechselte die Eisbeutel, half Anna Lisa, das voluminöse Hochzeitskleid wegzuräumen. Sie fühlte sich gar nicht gestört von dem Umstand, dass auch er ein Mann war, so sehr erschien er ihr wie ein freundlicher dienstbarer Geist. Unbekümmert um seine Anwesenheit schlüpfte sie ins Badezimmer, wusch sich, kämmte die aufgesteckte Ballfrisur aus und kehrte in Nachthemd und Schlafrock zu ihrem kranken Gatten zurück. Sie setzte sich auf ihre Seite des Bettes und sah ihn hilflos an.
Sein bleiches Gesicht sah greisenhaft verkniffen aus, Haar und Bart waren feucht von Schweiß. Man hatte ihm Socken, Rock und Hosen ausgezogen, aber nicht das Hemd, um ihm weitere schmerzhafte Bewegungen zu ersparen.
»Ich würde dir gerne helfen, aber ich weiß nicht, was ich tun soll«, sagte sie.
»Im Moment kannst du nichts weiter tun. Such dir ein hübsches Zimmer im Haus und geh schlafen.«
»Ich will in keinem anderen Zimmer schlafen. Mein Platz ist hier.«
Er schnaubte gereizt. »Du tust mir aber weh, wenn du im Bett herumrollst und ständig die Matratze wackelt!«
»Dann schlafe ich auf dem Sofa. Wenn dein Hund bei dir bleiben darf, warum dann nicht deine Frau?« Es war nämlich Tietjens’ Gegenwart, die sie zu einem für sie ganz ungewohnten Widerspruch reizte. Schlimm genug, wenn man sein Hochzeitsgemach mit einem Hund teilen musste – aber hinausgeschickt zu werden, während Tietjens dem Kranken Gesellschaft leistete, das wollte sie nicht dulden.
Er machte eine Handbewegung, die besagte: Ach was, mach, was du willst.
Niedergeschlagen rollte sie sich auf dem Sofa zusammen und deckte sich mit der Brokatdecke zu. Da ihr Mann offensichtlich in Ruhe gelassen werden wollte, stellte sie sich schlafend, aber wirklich einschlafen konnte sie nicht. Das Nachtlicht brannte mit bläulicher Flamme. Da war Tietjens, die vor Mitgefühl wie ein Mensch seufzte; da war Pahti, der in regelmäßigen Abständen mit neuem Eis aus der Küche kam und sich um alles kümmerte, was der Kranke brauchte. Simeon, der bei dem Fest reichlich getrunken und gegessen hatte, musste immer wieder sein Lager verlassen, um sich, auf seinen Diener gestützt, auf den Abort zu begeben – ein qualvolles Unternehmen, und zu dem Schmerz kam der Zorn, dass seine Hochzeitsnacht ein so enttäuschendes und demütigendes Ende nahm.
Irgendwann war Anna Lisa so erschöpft, dass sie doch einschlief. Sie erwachte zu ihrer gewohnten Stunde, um sieben Uhr, und sah im Morgengrauen das Zimmer vor sich. Pahti saß im Türkensitz auf dem Boden neben dem Bett und döste mit herabhängendem Kopf. Ihr frisch angetrauter Gatte lag auf dem Rücken, das verbundene Bein hoch auf Kissen gelagert, und schlief unruhig, vom Opium betäubt. Neben ihm im Ehebett ruhte lang ausgestreckt Tietjens und beleckte zärtlich seine bärtige Wange.
Was immer sie von ihrer Hochzeitsnacht erwartet hatte, es war
Weitere Kostenlose Bücher