Die Traenen des Mangrovenbaums
wohnten, aber Raharjo war ein unruhiger Geist. Anders als die meisten Javaner, die sich nur ungern aus den Armen ihrer Familie lösten, war er am liebsten allein unterwegs, immer in irgendwelchen Geschäften für seinen Großvater, den er über alles liebte. Er besorgte vertrauliche Aufträge für ihn, vor allem aber kaufte er für ihn ein, seit der betagte Fürst seine Tempelburg nur noch selten verließ. Der Adhipati war ein begeisterter Sammler von Kunstwerken, seien sie einheimischer oder ausländischer Herkunft. Sein Raritätenkabinett erweckte selbst die Bewunderung gelehrter Europäer. Raharjo, der seinen erlesenen Geschmack und sein Geschick im Erwerb solcher Seltenheiten halb geerbt, halb von ihm erlernt hatte, fungierte als sein Agent bei den europäischen Schiffseignern ebenso wie bei den chinesischen Händlern in Batavia und den islamischen Mullahs, die Devotionalien aus Mekka ins Land brachten. Der Adhipati dachte oft an sein hohes Alter, und wie andere Menschen auch, die den Tod nahen fühlen, umgab er sich gerne mit Geistlichen und den Schätzen der Religion. Neben Mullahs und Suduks aller Art hatte er sogar einen katholischen Priester seinem Geistlichkeiten-Harem einverleibt. Sein Enkel beschaffte ihm, was er wollte; er brauchte nur einen Wunsch zu äußern, und Raharjo machte sich auf den Weg wie der Jüngling im Märchen, der dem sterbenden König das Wasser des Lebens gebracht hatte.
Raharjo bedeutete dem Pagen, der ihn mit Wasser übergoss, damit aufzuhören und ihn abzutrocknen, danach warf er ein leichtes Hausgewand aus farbenfrohem Batik über und wies den Knaben an, ihm ins Schlafgemach zu leuchten.
»Dongdo!«, rief er in den Vorraum des Bades, wo der schwarze Sklave wartete. Dongdo – ein Abkömmling jener Schwarzafrikaner, die die Portugiesen einst ins Land gebracht hatten und von denen noch viele in Batavia wohnten – war sein Begleiter auf allen Wegen, aber man sah ihn kaum jemals anders als stumm in einem Winkel hockend, den Blick der gelblichen, hervorquellenden Augen unter halb geschlossenen Lidern verborgen, schwer durch die allzu flache Nase schnaufend. Es war nicht seine Aufgabe, seinem Herrn aufzuwarten, das taten andere, zierliche, wohlerzogene Haussklaven mit hübschen Gesichtern und feinen Händen. Dongdo war einfach da, wartend, dass er gebraucht wurde, und bereit, alles zu tun, was Raharjo ihm auftrug. Wie der junge Adelige zu seinem ungeschlachten Sklaven gekommen war, wusste niemand. Eines Tages war er da gewesen und nicht mehr von der Seite des Jünglings gewichen. Mochten die vornehmen Javaner ihm angewidert ausweichen und die Europäer die Nase rümpfen! Dongdo kümmerte es nicht. Ein seltsames, urtümliches Geschöpf, hatte er eines Tages aus unbekannten Gründen sein Leben mit dem des jungen Edelmannes verbunden und würde diese Verbindung von sich aus nicht mehr lösen.
Jetzt stand er auf und folgte Raharjo, der in sein Schlafgemach ging, wie ein grotesker Schatten. Die Haussklaven ängstigten sich vor ihm, die Bauern auf den Reisfeldern blickten beiseite, wenn er vorbeiging, und fürchteten seinen glotzäugigen Blick. Die Europäer in ihrer groben Art stellten manchmal rundheraus die Frage, warum Raharjo die Missgestalt mit sich herumschleppte. Sie bekamen keine Antwort. Eine Kunst, die alle vornehmen Javaner und viele der einfachen beherrschten, bestand darin, in aller Höflichkeit der Beantwortung einer Frage auszuweichen. Man mochte sie tausend Mal stellen und bekam tausend Mal ein sanftes, lächelndes Nichts zur Antwort.
»Lass uns schlafen, Dongdo. Wir haben viel gearbeitet.« Raharjo winkte den Pagen hinaus auf seinen Schlafplatz im Vorraum und streckte sich, nachdem Dongdo die Tür hinter ihm verriegelt hatte, auf dem Bett aus. Der feine Spitzenvorhang, der die Mücken fernhielt, fiel von allen Seiten herab und umhüllte das Lager. »Viele weiße Schmerbäuche werden sterben.«
»Die Seelen der Helden werden glücklich sein, Herr«, erwiderte der Schwarze und bekreuzigte sich, küsste aber gleich darauf ein verborgenes Amulett, das in einem Ledersäckchen auf seiner Brust hing. Welcher Religion er eigentlich angehörte, hatte nicht einmal Raharjo aus ihm herausbekommen, aber das war seine stehende Redewendung, wenn sie von einem ihrer nächtlichen Unternehmen zurückgekehrt waren, die sie beide den Kopf kosten konnten: »Die Seelen der Helden werden glücklich sein.« Die meisten dieser Afrikaner und Mestizen waren Christen, sie hatten sogar ihre
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