Die Traenen des Mangrovenbaums
jedenfalls nicht diese Szene gewesen!
Das Gold der Toten
D ie drei Männer in den lang herabhängenden Kapuzenmänteln ritten schweigend hintereinander auf dem Fahrweg, der dicht am Absturz der Klippen entlangführte. Der Tag neigte sich dem Ende entgegen. Nebel waberte aus den Kronen des Regenwaldes, der die wellige Hochebene bedeckte, und schwebte über der Meerenge. Die Männer ritten so knapp am Abgrund, wo Reisterrassen wie riesige Treppen zur Meerenge hinunter abfielen, dass sie geradewegs auf die blauen Wasser der Sundastraße hinabsahen und hinüber auf die jenseits der Meerenge ansteigende avocadogrüne Landmasse der Insel Sumatra mit ihren zerklüfteten Bergketten und der flachen, von zahlreichen Flüssen durchzogenen Küste.
Der Reiter ganz hinten, auf einem breitrückigen Packpferd, war ein Sklave; ein Mann mit tintenschwarzer Haut und geschorenem Schädel, krummbeinig und von beinahe zwergenhafter Gestalt, aber mit Schultern und Armen, deren Muskelstränge eine ungeheure Kraft verrieten. Der Mittlere, an der zierlichen Statur selbst in den voluminösen Falten seines Kapuzenmantels als Javaner erkennbar, gehörte zu den Vornehmen des Landes; er ritt einen feurigen Araberhengst, dem es missfiel, vorsichtig über die Wurzeln zu trippeln; ungeduldig biss das Tier auf der silbernen Trense herum und verlangte schnaubend nach einem breiten Weg, auf dem es wie ein Pfeil dahinfliegen konnte. Aber die Männer ließen sich Zeit. Alle drei wussten, dass Hast und Eile in den Tropen gleichbedeutend mit einem frühen Tod waren, vor allem für Europäer und Asiaten, die sich auch nach Generationen nicht wirklich an die Hitze und die triefende Luftfeuchtigkeit gewöhnten.
Schließlich fragte der vorderste Reiter, ein bärtiger Europäer: »Und Sie wollen es wirklich wagen? Sie kennen die Gefahr.« Er stellte die Frage auf Malayalam, der Hauptsprache der Insel.
Der Javaner wandte ihm seinen schönen Kopf zu mit einem maskenhaften, zimtbraunen Gesicht unter einem Schopf blauschwarzen Haares. Schwarze Mandelaugen blitzten im Schatten der Kapuze, als er ebenfalls auf Malayalam antwortete. »Gibt es eine Gefahr, die ich nicht auf mich nehmen würde, um der Sache unseres Landes zu dienen?«, sagte er mit leiser, melodischer Stimme. »Und so gefährlich ist es nicht, man muss nur vorsichtig sein, nichts ohne Handschuhe berühren und nachher seine Kleider verbrennen. Wenn Sie es wagen, dann kann ich es auch.«
»Ich weiß. Nun, dann kommen Sie. Sie werden Ihren Mut nicht bereuen.« Der Europäer zügelte sein Pferd und bog in einen halb überwucherten Pfad ein. Er war nicht mehr jung, saß aber im Sattel wie ein Junger, mit kräftigem Schenkeldruck und aufrechten Schultern. In seiner Jugend musste er ein sehr attraktiver Mann gewesen sein, aber jetzt umrahmte die Kapuze ein vom zehrenden Klima der Tropen gelb verwittertes Gesicht, in dem wiederholte Anfälle von Malaria und die dafür gebrauchten Hausmittel Chinin und Genever tiefe Spuren hinterlassen hatten.
Von allen Seiten umdrängte sie ein turmhoher Wirrwarr aus Farnen, Palmen, Luftwurzeln und Ranken, so eng verfilzt, dass man wie in einem Netz darin hängen blieb, wollte man einen Schritt vom sorgfältig freigehackten Wege tun. Wunderbar schöne Vögel erschienen sekundenlang im Dickicht wie aufblitzende Juwelen. Schließlich erreichten sie einen verwilderten Bananenhain, der sich einen Hügel hinaufzog, ein erstes Anzeichen, dass sie sich der Plantage näherten, denn die großblättrigen Bananenbäume wurden als Sonnenschutz und Windschirm zwischen den Kaffeestauden gepflanzt.
Vor ihnen tauchte ein Palisadenzaun auf und darin ein Tor, dessen scharlachrot lackierte Flügel geschlossen waren. Es wurde von einem zierlich geschnitzten, ehemals reich vergoldeten Vordach vor dem Regen geschützt, und von diesem Vordach hing als leuchtendes Warnzeichen eine gelbe Fahne – die Pestflagge.
Der Europäer zog einen Schlüsselbund aus der Tasche und sperrte auf. Das Tor, an dem sich bereits kniehohes Gras hochgerankt hatte, stemmte sich gegen den Druck seiner Hände; es quietschte und knackte, bis es endlich nachgab und die Männer einließ. Hastig schlossen sie es wieder hinter sich. Im Inneren banden sie ihre Pferde an und gingen zu Fuß weiter. Der schwarze Sklave trug auf der Schulter drei derbe Hanfsäcke.
Da stand das Haus, immer noch groß und prächtig, aber umgeben von den Überresten eines Gartens, der schon beinahe wieder zum Dschungel geworden war.
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