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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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hier, ein Stückchen frisch gebratenes Fleisch … hier eine knusprige Pastete … ich bitte die Erhabene inständig, sich auf ihr eigenes Bett zu begeben … seht nur, welch feine Leckerbissen ich darauf lege!«
    Mit diesen Worten entfernte er sich in eine Ecke des Zimmers, wo die Rollmatratze lag, auf der die Hündin zu Hause zu schlafen pflegte. Pahti war den Tränen nahe. Simeon hatte ihm zwar befohlen, Tietjens ins Zimmer zu lassen – sie habe immer in seinem Zimmer geschlafen und werde auch in Zukunft nichts anderes tun –, aber von der Brokatdecke auf dem Ehebett war nicht die Rede gewesen. Nur: Wie sollte er den Dämon von dort entfernen, ohne dessen Unwillen zu erregen? Ziehen oder schieben kam nicht infrage. Tietjens brachte um einiges mehr auf die Waage als der schmächtige Insulaner, und außerdem hätte er nie gewagt, sie derart respektlos zu behandeln. In Gedanken wog er ein Unheil gegen das andere ab. Verärgerte weiße Herren schlugen mit der Reitgerte zu, wenn man ihr Missfallen erregte, das wusste er. Aber niemand wusste, was ein verärgerter Dämon alles mit einem anstellen mochte!
    In seiner Ratlosigkeit begann er, Tietjens in seiner Muttersprache anzureden – und o Wunder! Die Erhabene streckte sich, sprang mit einem lässigen Satz vom Bett und begab sich auf ihre Matratze. Zutiefst erleichtert stopfte Pahti ihr alle mitgebrachten Leckerbissen ins Maul, streichelte und schmeichelte und dankte ihr mit unterwürfigen Worten.
    Die Hündin legte sich auf die Seite, streckte mit knackenden Gelenken alle viere von sich und belohnte die Ergebenheit ihres Dieners mit einem flüchtigen Schlecken – einem bloßen Wischen der Zungenspitze, das Pahti dennoch als Zeichen allerhöchsten Wohlwollens empfand. Rasch glättete er die Bettdecke, zündete das duftende Öllicht an, das zwischen Rosenblättern und Minze in einer Schale mit Wasser schwamm, und machte sich auf den Weg, um nach seinem Herrn zu sehen.
    Die Kapelle spielte einen Tusch, als das lächelnde und winkende Brautpaar oben auf der Treppe erschien, und ein lärmender Chor von Glückwünschen schallte ihnen entgegen. Und dann geschah es.
    Einer der Gazevorhänge, die die Decke des Treppenhauses schmückend verhüllten, war wohl nachlässig befestigt gewesen, denn der meterlange bunte Schleier löste sich plötzlich und fiel von der Höhe herab auf die Menschen, die eben die Treppe herabstiegen. Seine hauchzarte Fülle allein hätte niemand verletzt, aber als ein gutes Dutzend Leute so unversehens eingehüllt wurden, brach ein plötzliches Durcheinander aus. Viele stolperten, mehrere stürzten, und Simeon hatte das Pech, sich inmitten des Gedrängels die Füße in dem Schleiertuch zu verwickeln. Mit einem Aufschrei suchte er nach dem Geländer zu fassen, verfehlte es jedoch und fiel sich überschlagend die halbe Länge der Treppe hinunter.
    Die Musik verstummte jäh. Geschrei ertönte von allen Seiten. Man stürzte herbei, um ihn und zwei andere, die dasselbe Unglück getroffen hatte, aufzuheben. Die beiden anderen Männer rappelten sich, von hilfreichen Händen gestützt, fluchend und stöhnend auf, rieben sich Rücken und Hüfte und verlangten nach einem ordentlichen Schluck auf den Schreck. Als man Simeon jedoch auf die Füße stellte, schrie er gellend auf und brach sogleich wieder zusammen. Betroffenes Schweigen machte sich breit. Anna Lisa stand wie erstarrt vor Entsetzen da, an das Treppengeländer geklammert, den Blick auf das Durcheinander am Fuße der Treppe gerichtet, in Gedanken jedoch bei der schrecklichen Szene in ihrem Traum, als sie ihren Gatten von einem Schleiertuch bedeckt gesehen hatte. Der entsetzliche Gedanke überkam sie, ihr Traum könnte eine Vorschau seines Todes gewesen sein.
    Da drängte sich aber bereits ein Arzt durch die Menge. Seine Diagnose war weniger schlimm als befürchtet. Das Bein war nicht gebrochen, aber Knie und Knöchel waren gestaucht und gezerrt, Hüfte und Schulter bei dem harten Sturz geprellt. Der Verunglückte würde wohl eine Weile das Bett hüten und dann auf Krücken dahinhumpeln müssen.
    Anna Lisa folgte mit feuchten Augen, als man ihren Gatten in das Zimmer trug, das unversehens vom Hochzeits- zum Krankenzimmer geworden war. Ein Diener, der vorauseilte, öffnete die Tür – und schlug sie mit einem Schrei wieder zu, als er sich unversehens Tietjens gegenübersah, die von dem Lärm beunruhigt aufgesprungen war. Erst als Simeon der Hündin zurief, sie solle sich legen, gab diese die

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